023 - Das Kastell der Toten
herunter und versuchte verzweifelt, der Panik Herr zu werden.
Im nächsten Moment sah er die Gestalten.
Verschwommene Gestalten — seltsam schwerelos.
Tessa.
Anna. Francesca.
Die rothaarige Marguerite.
Trugbilder? Wirklichkeit? Er wusste es nicht.
Er spürte nur, wie ihn das Grauen gleich einem wilden Tier ansprang, er trat das Gaspedal durch, krampfte die Hände um das Steuer, und er raste mitten hinein in die unwirkliche, gespenstische Gruppe.
An die nächste Viertelstunde konnte er sich später nicht mehr erinnern.
Irgendwie, irgendwann erreichte er Cala Correggio. Fieberschauer schüttelten ihn. Mit kreischenden Bremsen brachte er den Wagen vor dem Polizeirevier zum Stehen, rammte fast die Treppe zum Eingang und taumelte ins Freie.
Er hörte nicht, dass in seiner Nähe eine Frauenstimme erschrocken aufschrie. Entsetzen peitschte ihn. Wie eine Marionette, an deren Fäden ein Betrunkener spielt, stolperte er die Treppe hinauf und stieß die Tür zu der kleinen stickigen Wachstube auf.
Der Uniformierte hinter der niedrigen Barriere hob uninteressiert den Kopf.
Er hatte geschlafen. Ärgerlich runzelte er die Stirn — und kippte im nächsten Moment fast seinen Stuhl um.
»Signore!« stieß er hervor. »Was ist denn ...?«
Dave hielt sich am Türrahmen fest.
Er schwankte. Um ihn begann sich der Raum zu drehen, und alles verschwamm vor seinen Augen. Er machte einen unkontrollierten Schritt nach vorn, öffnete den Mund, um zu sprechen, und brach in der gleichen Sekunde wie vom Blitz getroffen zusammen.
Der Uniformierte hörte nur noch, dass er irgendetwas von Katzen murmelte.
***
»Signore Connery?«
Dave blinzelte durch die geschlossenen Lider. Es roch antiseptisch. Klinik. Vage erinnerte er sich an seine New Yorker Freundin, die Krankenschwester war und...
New York?
Er war nicht in New York. Er war in Italien. Er war hier, um...
Wie ein Schlag kam die Erinnerung.
Dave hielt den Atem an. Angst schoss in ihm hoch. Sein Gehirn raste wie ein Computer, dachte und dachte, wühlte in den Kammern des Gedächtnisses —r und ganz langsam stieß er die Luft durch die Nase.
Er lag offenbar in einem Hospital.
Er war sicher.
Sicher!
Mit einem tiefen Atemzug schlug er die Augen auf.
Steriles Weiß. Die Wände, die Decken, der Schrank — alles. Zwei Männer in Zivil standen neben seinem Bett, am Fußende erkannte er einen jungen weißbekittelten Arzt und eine hübsche Schwester mit Glutaugen. Schwarzen Augen. Augen, die auf jeden Fall keiner Katze gehören konnten.
»Nun, Signore Connery?« fragte einer der Zivilisten, in denen er Polizeibeamte vermutete. »Wie geht es Ihnen?«
»Danke, gut«, murmelte Dave. »Ich ... Wo bin ich hier?«
»Im Santa Lucia Hospital, Signore Connery. Sie brauchen sich absolut keine Sorgen zu machen.«
»Und wie lange?«
»Drei Wochen, Signore Connery.«
Dave fuhr auf. »Drei — drei Wochen?«
Der Beamte nickte milde. »Sie hatten einen schweren Schock und Nervenfieber. Aber der Arzt meint, dass Sie es jetzt überstanden haben. Nicht wahr, Dottore?« • Der Weißbekittelte nickte.
»Mein Name ist übrigens Carlo Adalfi«, stellte er sich vor. »Das hier ist Schwester Marietta, und dies sind Signore Luigi Valperde und Signore Addo Rossi. Die Herren kommen von der Kriminalpolizei. Sie werden verstehen, dass es noch einiges zu klären gibt.«
Dave atmete tief durch.
Die Gesichter um ihn, das Zimmer, die grünen Zweige vor dem Fenster — das alles war so normal, so beruhigend und alltäglich, dass ein Teil der Angst von ihm abfiel. Er fragte sich, ob er nicht vielleicht geträumt hatte. Prüfend tastete er über sein Gesicht und betrachtete seine Hände.
Die Kratzer waren da.
Abgeheilt zwar, vernarbt — aber noch deutlich sichtbar.
Und wenn die Kratzer da waren, dann waren auch die Katzen dagewesen.
»Was — was habe ich erzählt?« fragte er heiser.
Valperde lächelte nachsichtig.
»Eine ziemlich wirre Geschichte, Signore«, meinte er. »Es waren wohl eher Fieberphantasien. Aber immerhin müssen wir versuchen, die Wahrheit herauszufinden. Sie waren verletzt, als Sie meinen Kollegen in Cala Correggio vor die Füße fielen.«
Dave nickte.
»Ich weiß«, murmelte er. »Und ich weiß auch, dass Sie die Wahrheit nicht glauben würden.«
»Das kommt auf einen Versuch an, Signore Connery. Bitte, erzählen Sie.«
Dave stützte sich auf die Ellenbogen. »Kann ich eine Zigarette haben?«
Er bekam die Zigarette. In tiefen Zügen sog er den würzigen Rauch ein.
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