023 - Der Kopf des Vampirs
einmal das Gepäck Hunters und seiner Mitreisenden vorzunehmen.
Ndoyo hatte seine Chance erkannt und nutzte sie. Er fand in den Gepäckstücken Dämonenbanner, Kreuze, Weihwasser, Knoblauchblüten, Magazine mit Silberkugeln und silberne Dolche. In Dorians Diplomatenkoffer entdeckte er in einer Mappe alte Dokumente in verschiedenen Sprachen, Tagebuchaufzeichnungen und Notizen. Er wußte nichts damit anzufangen, aber er steckte die Mappe ein, um sie seinem Herrn und Meister zu bringen. Daß er es mit mehreren Dämonenbekämpfern zu tun hatte, überraschte ihn; bisher war den finsteren Mächten allenfalls von Einzelgängern und Außenseitern Widerstand entgegengesetzt worden.
So etwas wie Hoffnung keimte im Gehirn des Schwarzen. Er haßte und verabscheute eigentlich die Handlungen, zu denen sein dämonischer Meister ihn zwang. Ndoyo war ein gutmütiger Charakter, der niemandem etwas Böses tun wollte. Doch der dämonische Bann Johan Zaanders und die Furcht vor dem Dämon zwangen ihn zu Greueltaten. Ndoyo litt darunter. Er hatte friedlich und glücklich auf Curacao gelebt, auf einer Plantage gearbeitet und nicht mehr begehrt, als sein einfaches Leben ihm bescherte. Bis Johan Zaander gekommen war und ihn zu seinem Sklaven gemacht hatte. Er hatte Nicolas Ndoyo ausgebildet und zu seinem Werkzeug gemacht.
Ndoyo dachte für einen Augenblick daran, mit den Dämonengegnern gemeinsame Sache zu machen, doch schon der Gedanke daran jagte ihm einen fürchterlichen Schmerz durch den Körper. Johan Zaander hatte vorgesorgt, daß eine solche Entwicklung nicht eintreten konnte; Ndoyo durfte nicht einmal an Verrat an seinem dämonischen Herrn und Meister denken.
Er fand die Brieftasche Marvin Cohens mit Dienstausweis und Plakette des Secret Service. Mit der Bezeichnung Sonderdezernat, Inquisitionsabteilung vermochte er nichts anzufangen. Er schloß die Gepäckstücke schließlich wieder und legte sie ins Gepäcknetz. Er hatte genug gesehen. Er steckte Cohens Brieftasche und ein paar von den Dämonenbannern ein, wandte sich um und wollte das Abteil verlassen.
Da sah er aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Er wandte den Kopf, aber da war nichts. Trotzdem war er sicher, sich nicht getäuscht zu haben. Er beugte sich herunter, schaute unter die Sitze und erblickte Donald Chapman. Überrascht betrachtete er den dreißig Zentimeter großen Puppenmann.
Chapman war im ersten Augenblick erschrocken, als er sich entdeckt sah, aber er faßte sich schnell und griff nach seiner Minipistole. Er richtete sie auf Ndoyos rechtes Auge.
»Ich warne dich!« rief er. »Ich schieße dir ein Auge aus!«
»Tu das lieber nicht, kleiner Mann«, sagte Ndoyo, »sonst mach ich dir einen Knoten in den Bauch. Was bist denn du für einer?«
»Verschwinde aus diesem Abteil! Dorian Hunter und die beiden andern werden gleich zurückkommen.«
Ndoyo begriff sofort, daß der Kleine eine wertvolle Geisel und ein gutes Druckmittel sein mußte, wie er es sich besser nicht wünschen konnte.
»Ich gehe ja schon«, sagte er anscheinend friedfertig. »Du kannst dein Knallpistölchen ruhig wegstecken.«
Er hob den Kopf, daß der unter den Sitzen steckende Chapman ihn nicht mehr treffen konnte, und griff zu. Chapmans kleine Pistole, die er hauptsächlich trug, um sich gegen Ratten, Katzen und Hunde zur Wehr setzen zu können, krachte zweimal los. Ndoyo spürte einen brennenden Schmerz in der Hand. Eines der kleinen Projektile hatte seine Hand durchschlagen, das andere blieb darin stecken. Aber Ndoyo packte trotzdem zu. Er klemmte Chapmans Pistolenarm zwischen zwei Finger und quetschte ihn so fest, bis Chapman aufschrie und die Pistole fallen ließ.
Ndoyo richtete sich auf und hielt den Puppenmann vor sein Gesicht. Von seiner Hand tropfte Blut, doch er war eher verwundert als böse. »Für einen so kleinen Kerl bist du mächtig bissig. Aber jetzt habe ich dich in meiner Gewalt. Mach keine Dummheiten, hörst du? Ich mit meinen Bärenkräften möchte nicht gern einem so kleinen Krümel wie dir weh tun.«
»Weshalb läßt du mich dann nicht laufen?«
Ndoyo antwortete nicht. Er verbarg Don Chapman unter der Jacke, verließ mit ihm das Abteil und ging in den Waschraum, wo er den Vampirkopf, der in der schäbigen TWA-Tasche steckte, im Papierkorb unter Abfall versteckt hatte. Er holte die Tasche mit dem Vampirkopf und setzte sich in ein leeres Abteil.
Der Zug raste mit Höchstgeschwindigkeit durch die neblige Novembernacht. Ndoyo sah draußen ein Signal vorbeihuschen. Er
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