023 - Reise ohne Wiederkehr
ausgerichtet war.
Das Mobiliar bestand aus dem freistehenden Holzbett, einem Tisch, auf dem sich zahlreiche Papiere stapelten, vier Stühlen, einem bunten Tuurka-Teppich und einer Eisenbeschlagenen Seemannskiste. In die Wand war ein Schrank mit Glasfenstern eingelassen, in dem man ein halbes Dutzend Degen, Säbel und Schwerter erblicken konnte. Ein Regal war vollgestopft mit Büchern. Der einzige Schmuck des Raums war eine zerschlissene Flagge, auf der sich eine fette Schlange ringelte. Sie hing dem Schrank gegenüber an der Wand.
Kapitaan Delleray nahm hinter dem Tisch auf einem gepolsterten Stuhl Platz und lud Pieroo ein, näher zutreten.
»Du hast Glück«, sagte er. »Normalerweise dürfen nur Offiziere diesen Raum betreten! Aber ich habe den Eindruck gewonnen, dass du ein patenter Bursche bist, der einige Privilegien verdient hat.«
Wieder verstand Pieroo kaum die Hälfte dessen, was sein Herr da redete, aber er nickte vorsichtshalber dankbar.
Seine Mimik konnte der Kapitaan unter seinem stark behaarten Gesicht glücklicherweise nicht sehen.
»Jener unglückselige Vorfall, dessen Zeuge du warst«, fuhr Delleray fort, »ist dir vielleicht unnötig grausam erschienen, aber…« Er deutete auf einen Stuhl. Pieroo nahm zögernd Platz.
»… aber er dient einem höheren Zweck.« Delleray beugte sich vor und schaute sich um, als fürchte er belauscht zu werden. »Das, was ich getan habe, dient der Krone eines neuen Reiches.« Er holte tief Luft; seine grauen Augen glitzerten.
»Was ich dir nun erzähle, ist streng geheim. Nicht einmal die Offiziere wissen davon.« Er warf erneut einen Blick zur Tür und dämpfte seine Stimme, und Pieroo hatte plötzlich das unbehagliche Gefühl, gleich Dinge zu erfahren, die er lieber nicht wissen wollte.
»Ich bin davon überzeugt«, fuhr Delleray fort, »dass du meiner… unserer Sache sehr nützlich sein wirst, denn…«, er lächelte unmerklich, »wenn ich in dem neuen Reich erst fest im Sattel sitze, brauche ich einen zuverlässigen Mann, der meine Truppen führen kann.«
»Truppe?«, echote Pieroo verdattert. Was sollte das bedeuten? Genügte er dem Kapitaan als Persönlicher Wachmann nicht mehr?
»Ja, Truppen«, sagte Delleray. Er nickte heftig.
»Wer ein Reich hat, braucht Truppen, um es gegen Neider zu verteidigen!«
Pieroo fiel es wie Schuppen von den Augen: Der Kapitaan sprach von Krieg! Er war nicht nur ein Entdecker, er war auch Eroberer!
»Im Gegensatz zu den Anderen an Bord bist du kein gewöhnlicher Heyerling«, sagte Delleray und machte eine verächtliche Gebärde.
»Du warst in deiner Heimat selbst ein Häuptling. Du weißt, dass man ein neues Reich nur gründen kann, wenn man all jene beseitigt, die an zu viel Ehrgeiz leiden.«
Heyerling war auch so ein Wort, das Pieroo nicht genau verstand. So weit er wusste, bezeichnete man damit Menschen, die ihre Dienste an eine Majestät vermieteten, ohne ihr ergeben zu sein: Menschen ohne Ehre, die für den ihren Säbel schwangen, der sie gerade bezahlte. Wenn Delleray etwas Besseres in ihm sah, war dies ein großes Lob. Viel mehr aber galt Pieroo die Gewissheit, dass er dem Ersten unverzüglich ins Jenseits folgen würde, wenn er Delleray nicht nach dem Mund redete. Und so sagte er nach kurzem Überlegen und gegen seine Überzeugung: »Du has mein Wood, das isch disch unnestütze wäd, Kapitaan.«
»Ich habe mit nichts Anderem gerechnet«, erwiderte Delleray zufrieden. »Andererseits hätte ich dich schon längst zu den Fischen geschickt!«
Pieroo atmete innerlich auf. Er hatte genau richtig gehandelt. Wie sagte schon das alte doyze Sprichwort: In der Not frisst Orguudoo Fleggen…
»Wie ich höre, sollt ihr aus Doyzland gute Landsknechte sein«, sprach Delleray weiter.
»Ich hoffe, du bist auch kein schlechter Seemann! Ich vertraue auf deine natürliche Begabung und deine Intuition. Du wirst mich nicht enttäuschen.«
Der letzte Satz schien Pieroo wie eine Drohung. Ihm war klar: Ein Versagen durfte er sich bei einem Herrn wie Delleray nicht erlauben.
Für den Kapitaan schien die Angelegenheit damit erledigt zu sein. Pieroo stand auf, verbeugte sich, öffnete die Tür und ging hinaus.
***
Der kalte Wind war auf See viel stärker und unangenehmer als daheim, doch die neue Kleidung, die er trug, ließ ihn die Unbill ertragen. Seine ledernen Stulpenstiefel polterten über die Decksplanken, als er zur Reling ging und einen Blick auf den Horizont warf.
Alles in allem hatte es nicht schlecht getroffen. Wenn
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