023 - Reise ohne Wiederkehr
den Kopf des Ersten Lytnants, dass ein grässliches Knirschen ertönte und der Mann nach einem heftigen Zusammenzucken er- schlaffte.
Dann brachen seine Augen. Die gaffenden Galgenvögel schrien auf, traten zurück und musterten entsetzt ihren Herrn.
Delleray schaute sich mit einem triumphierenden Blick um. Dann blies sich sein Brustkorb auf und rief: »So ergeht es allen, die es wagen, meine Pläne in Frage zu stellen!« Er maß das abgerissene Gesindel, das die Krahac bevölkerte, mit einem drohenden Blick. »Ihr habt euer Kreuz unter den Vertrag gesetzt! Wer einmal bei mir angemustert hat und sich meinen Anweisungen widersetzt, weiß, was ihm blüht!« Seine Augen sprühten Funken.
Die überwiegende Mehrheit der Zeugen seiner gemeinen Tat war jedoch auf seiner Seite, denn der Abgang eines Offiziers bedeutete, dass für mehrere andere eine Beförderung anstand.
Delleray beförderte den Dritten Lytnant zum Zweiten, den Zweiten zum Ersten und deutete dann auf eine dürre Vogelscheuche mit einer roten Wollmütze und einem hervorstehenden Adamsapfel. Pieroo wusste, dass man die Vogelscheuche Schlitzer nannte. Sekunden später war Schlitzer der neue Dritte. Er waltete sofort seines Amtes und brüllte die Gaffer an die Arbeit zurück. Als sie sich verzogen hatten, fiel er vor seinem Kapitaan auf die Knie, küsste seine Stiefel und schwor ihm ewige Treue.
Pieroo beobachtete all dies ohne äußerliche Regung. Innerlich jedoch dachte er: Großer Wudan, in was für einen Dreck bin ich hier hineingeraten?
Delleray winkte ihn zu sich. Er deutete auf den Leichnam. »Schaff ihn von Bord.« Eigentlich hatte Pieroo vorgehabt, den Mord nicht zu kommentieren, aber ihn ritt wohl der Teufel, als er fragte: »Was hadde getan? Hadde umkehn wolle?«
Pieroo sprach den Akzent der Völker westlich des Großen Flusses und verschluckte die Endkonsonanten. Manchmal faselte er ein fürchterliches Kauderwelsch zusammen. Aber er beherrschte die Sprache der Wandernden Völker, in der auch Delleray bewandert war, immerhin so gut, dass er sich mit ihm verständigen konnte.
Einen Moment später wurde ihm die Brisanz seiner Wortwahl bewusst spätestens als Kapitaan Delleray ihn entgeistert anblickte. In dessen Wortschatz schien den Begriff
»umkehren« gar nicht zu existieren.
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte er in lauerndem Tonfall.
»Nu so gedacht«, gab Pieroo zurück und hoffte, dass Delleray ihm die lasterhaften Gedanken nicht ankreidete.
»Waan Feiglin. Kam mi nisch inne Sinn.« Und er fügte in Gedanken hinzu: Wenn ich das überlebe, mache ich nur noch den Mund auf, wenn es unbedingt sein muss; Wudan sei mein Zeuge!
Delleray musterte ihn noch für eine Sekunde kritisch, dann glättete sich seine Miene wieder. Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein, sein Vergehen war viel… banaler.« Noch so ein Wort, das Pieroo nicht verstand. Er nickte trotzdem zustimmend. Der Kapitaan deutete auf die Leiche des toten Ersten. »Er hat doch wahrhaftig das Ansinnen an mich gestellt, den Smutje der Santanna zu verschonen! Und weißt du, aus welchem Grund?« Pieroo schüttelte den Kopf. »Weil er mit ihm befreundet ist!« Kapitaan Delleray schüttelte fassungslos den Kopf. »Als ob ich es mir erlauben könnte, einen Überlebenden zu riskieren!« Er schien es nicht fassen zu können.
Pieroo hüstelte verlegen. Er fragte sich, was sein Kapitaan mit »Santanna« meinte und welche Bedeutung der Rest seiner Worte hatte.
Bisher war er nämlich davon ausgegangen, dass er in das ferne Land Meeraka reiste, um sich anschließend in Britana als Entdecker feiern zu lassen. Nun jedoch gewann er den Eindruck, dass er ein ganz anderes Ziel verfolgte.
Pieroo war ein kampfgestählter Mann, aber die Methoden der Seefahrer waren ihm völlig fremd. Und so - Wudan mochte es ihm verzeihen - äußerte er wagemutig die Frage, ob das Wort Santanna womöglich der Name eines Schiffes sei.
Delleray musterte ihn verblüfft. Dann erhellte sich sein Blick. Er klopfte seinem Persönlichen Wachmann auf die Schulter und zog ihn ins Innere seiner Kabine.
Der Kapitaan lebte in einem gut gelüfteten Raum im Heck der Krahac. Die Mannschaft schlief unter der Back, »vor dem Mast«, wie die Matrosen sagten. Die Kabine war hübsch eingerichtet und hell. Das Licht fiel durch ein großes Fenster, das halb offen stand und durch das man das Fahrwasser der Krahac sehen konnte. Jeder Gegenstand, auf den Pieroos Blick fiel, zeugte von einem Geschmack, der nicht nur auf das Nützliche
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