0230 - Im Land der Unheils
Dann hörte er ein leises, amüsiertes Lachen, ein Geräusch, das von allen Seiten zugleich auf ihn einzustürmen schien, bis er merkte, daß es direkt in seinen Gedanken entstand.
Natürlich, dachte er. Wenn schon der Magier seine Gedanken las, würde sein Auftraggeber diese Fähigkeit mit Sicherheit auch beherrschen.
»Selbstverständlich«, sagte die gedankliche Stimme.
»Dann zeige dich«, verlangte Zamorra.
Wieder vergingen Sekunden, ehe eine Reaktion auf seine Worte erfolgte.
Auf dem Thron begann sich eine monströse Gestalt abzuzeichnen. Sie hatte menschliche Umrisse, aber die Ähnlichkeit hörte spätestens beim Gesicht auf. Zamorra unterdrückte ein Schaudern. Das Wesen hatte einen mächtigen, kugelförmigen Schädel ohne sichtbare Ohren oder Nase. Ein faustgroßes, pupillenloses Zyklopenauge starrte Zamorra ausdruckslos an, und der Mund war ein schmaler, wie mit einem Skalpell gezogener Schlitz, in dem ein furchtbares Raubtiergebiß schimmerte.
Obwohl Zamorra sich alle Mühe gab, gelang es ihm nicht ganz, sein Erschrecken zu verbergen. Es war nicht so sehr das Äußere des Wesens -er war schon schlimmeren Monstern begegnet, Ungeheuern, deren bloßer Anblick gereicht hätte, einen Menschen in den Wahnsinn zu treiben. Es war die Ausstrahlung des Monsters; eine fast körperlich spürbare Aura der Macht und Gewalt, die das Ding wie ein unsichtbarer Schirm umgab.
»Wer… wer bist du?« fragte er stockend.
Das Wesen lachte.
»Wer ich bin?« wiederholte es. »Ich bin nicht wer, ich bin etwas. Das Kall. Aber dieser Name wird dir nichts sagen, Zamorra.«
»Du bist ein Dämon, nicht?«
»Nicht in dem Sinn, in dem du das Wort benutzt, Mensch«, entgegnete das Kall. »Früher war ich viele - ein Volk von Magiern, wie du sie genannt hättest, auch wenn wir in Wirklichkeit etwas ganz anderes waren. Aber das ist lange her. Heute gibt es nur noch mich - die Essenz dessen, was einst ein ganzes Volk war. Ich herrsche.«
Zamorra schauderte beim Klang der letzten beiden Worte. Mehr an Erklärung schien nicht notwendig zu sein. Dieses Wesen - das Kall, wie es sich nannte - herrschte.
»Du beginnst zu begreifen«, sagte das Kall. »Jeder andere hätte mich nach den Gründen gefragt, nur du nicht. Ich sehe, daß ich dich nicht überschätzt habe. Für einen Menschen hast du erstaunliche Fähigkeiten. Trotzdem wirst du sterben.«
Zamorras Hand senkte sich unwillkürlich auf den Schwertgriff, aber er führte die Bewegung nicht zu Ende. Die Waffe schien ihm gegen dieses monströse Etwas lächerlich.
»Das ist sie auch«, nickte das Kall. »Ich hätte dich mit einem einzigen Gedanken töten können.«
»Und warum tust du es nicht?«
Das Kall zuckte in einer bedrückend menschlichen Geste die Achseln. »Du würdest es Sportsgeist nennen, vermute ich«, sagte es. »Ich habe viele Völker besiegt, doch es bringt keine Befriedigung, wenn es zu leicht ist. Daher das Spiel. Es ist interessanter, wenn man sich an Regeln halten muß.«
Zamorra nickte. »Der Magier…«, sagte er leise. »Das warst du.«
»Ich habe viele Körper. Ich bin eins und hundert, ein Wesen und ein ganzes Heer, wenn es notwendig ist. Dein Tod ist Teil einer Vereinbarung, die ich traf. Ich töte dich und erhalte dafür den Schlüssel zu eurer Welt.« Das Kall schwieg einen Moment, stützte sich mit seinen mächtigen Klauen auf den Armlehnen des Sessels ab und beugte sich leicht vor. »Ich habe dieses Labyrinth erschaffen, um dich zu töten, Zamorra. Um deine Welt zu erobern, werde ich mir etwas neues ausdenken. Es wird sehr interessant werden.«
Die Worte des Kall hallten seltsam in Zamorras Gedanken wider. Es ist interessanter, wenn man sich an Regeln halten muß … Seine Hand glitt wieder zum Schwertgriff und umklammerte das kühle Metall. Vielleicht täuschte er sich, aber er hatte keine andere Wahl. Das Wesen würde ihn auf jeden Fall töten.
Er sprang vor, riß die Waffe aus dem Gürtel und führte einen wütenden Hieb gegen die Beine des Kall.
Das Wesen versuchte nicht einmal, dem Schlag auszuweichen.
Die Klinge schnitt mit einem reißenden Geräusch durch Haut und Fleisch und hinterließ eine klaffende Wunde. Aber der Schnitt schloß sich beinahe genausoschnell wieder, wie er entstanden war.
Das Kall lächelte.
»Du enttäuscht mich, Zamorra«, sagte es ruhig. »Ein Mann wie du sollte wissen, wann er verloren hat.« Seine Hand zuckte hoch, traf Zamorras Arm mit der Gewalt eines Hammerschlages und schmetterte ihm das Schwert aus der
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