0231 - Meer der weißen Särge
sagen?«
»So alt sind Sie auch nicht«, erwiderte ich und gähnte ein weiteres Mal.
Den Mund hatte ich noch offen, als es passierte. Etwas rumpelte gegen die rechte Bordwand. Schlagartig fiel die Müdigkeit von mir ab, denn dieses Geräusch war nicht normal. Auch Suko hatte es gehört, beugte sich über Bord und schaute wie auch ich nach.
Der Kommissar hatte gut reagiert, sofort Gas weggenommen und zog das Boot in eine enge Kurve, damit er an den Gegenstand herankam, der schon ein wenig abgetrieben worden war; Weiß und hell schimmerte es auf der Wasseroberfläche. Suko und ich hatten uns gedreht, aber genau konnten wir noch nichts erkennen. Der sah mir aus wie ein Kasten.
»Vielleicht Unrat«, vermutete Suko.
Ich erwiderte darauf nichts, denn ich schaute mir den Gegenstand genauer an und erkannte plötzlich, um was es sich bei ihm handelte.
Auch Tolini und Suko hatten ihn jetzt identifiziert. Ich hörte den Kommissar keuchen. »Verdammt«, flüsterte er und schlug hastig ein Kreuzzeichen, »das ist ja…«
Er sprach nicht mehr weiter, aber ich sagte die bewußten Worte.
»Ein Sarg, Kommissar, ein weißer Sarg…«
***
Sie standen auf der Brücke!
Zwei Menschen suchten verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser Misere, und beide wußten, daß es kaum einen für sie gab, denn die Falle war zugeschnappt.
Ihre Gegner hatten es raffiniert angestellt, die beiden erst in Sicherheit gewiegt und dann zugeschlagen. Um so größer und härter war die Überraschung jetzt.
Franca klammerte sich an ihrem Freund fest. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, um in sein Gesicht schauen zu können, das ihr wie ein bleicher Fleck vorkam. Ihr Schrei war längst verhallt.
Stille umgab die beiden jungen Menschen, und Franca hörte ihr eigenes Herz überlaut schlagen. Die Schläge dröhnten in ihrem Kopf wider. Es war ein rhythmisches Hämmern, Ausdruck einer inneren fiebernden Angst.
»Was sollen wir denn jetzt machen?« flüsterte sie und schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht«, lautete die ehrliche Antwort. »Ich weiß es wirklich nicht.« Marco schaute nach vorn. Dort war ihm der Weg versperrt. Wenn er nach hinten sah, stellte er das gleiche fest. Es gab keinen Zweifel, daß ihre Gegner genau gewußt hatten, was sie taten. Eine Möglichkeit allerdings hatten sie den beiden noch offen gelassen.
Den Sprung ins Wasser!
»Wenn wir wegkommen wollen, müssen wir ins Wasser springen!« sagte Marco rauh.
Franca zuckte zusammen. »Was sollen wir?« Sie begann sich zu schütteln, als würde sie sich ekeln. »Unmöglich, ich kann doch nicht…«
»Unsere einzige Chance!«
»Aber die Monstren werden uns…«
»Ich habe noch keine Vampire gesehen, die schwimmen können. Und die beiden vor und hinter uns sind Vampire. Gewaltige Fledermäuse…«
»Dann komm!« Die letzten Worte hatten Franca überzeugt. Sie wollte es endlich hinter sich bringen, auch wenn sie sich vor dieser widerlich schmutzigen Wasserbrühe immer geekelt hatte. Aber es war in der Tat die einzige Chance.
Marco warf noch einen Blick auf die zusammengekauerten Fledermäuse. Vielleicht gab es doch noch einen anderen Weg, als in die schmutzige, verseuchte Brühe zu springen, aber da bewegte eine der Fledermäuse sich. Es war ein träges Heben der Flügel, kein Fliegen, und Marco empfand es als eine Art Warnung. Das Monstrum hatte seine Flügel nicht ganz ausgefahren, das ging nicht, da die Gasse viel zu klein war, aber dieses Anzeichen reichte aus, um Marco einen Schauer über den Rücken zu jagen.
Er dachte wieder an das Grab, an diese verfluchte, unheimliche Stätte, die sie entdeckt hatten, und er verwünschte die Minute dieser Tat. Rot leuchteten auch die Augen der Fledermaus. Im Schwarz des Kopfes wirkten die Augen wie zwei Tropfen aus gefrorenem Blut. Darunter ein Maul, das, wenn es aufgerissen war, fast die Hälfte des Kopfes einnahm. Ein Bild des Schreckens, ein Bild zum Fürchten, und Marco dachte plötzlich an die toten Tauben, die er gesehen hatte.
Blutleer lagen sie auf dem Boden, ausgesaugt, leergetrunken…
Wenn die Tauben sterben, dann stirbt auch Venedig, hatte ihm einmal jemand gesagt.
Fast glaubte er daran.
»Marco, was ist denn?« Die drängende Stimme seiner Freundin unterbrach Marcos Gedanken.
Der junge Mann schrak zusammen. »Ja, ja!« hauchte er, »Ich… ich… komme schon …«
Er straffte sich. Franca ließ ihn los. Sie brauchte nur einen Schritt, um die Steinbrüstung der Brücke zu erreichen. Auch hier war das Gestein im
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