0231 - Meer der weißen Särge
fuhren.
Allerdings nicht mit dem Wagen, sondern mit einem Boot der Wasserschutzpolizei, das Commissario Tolini steuerte.
Venedig um drei Uhr morgens!
Das war ein seltsam beklemmendes Gefühl, diese Stadt so zu erleben. Die Kanäle schienen in der Dunkelheit noch enger zu werden, die Mauern rückten näher zusammen, das Wasser war geschwärzt, als hätte jemand Teer hineingekippt, der Himmel eine dunkle Fläche, und die alten, oft prachtvollen Häuser glichen regelrechten Gespensterburgen.
Wir hielten uns nicht da auf, wo die Stadt extra für Touristen herausgeputzt wird, nein, da hatten wir nichts zu suchen. In der Gegend waren die roten Vampire auch nicht beobachtet worden, wir fuhren dort, wo die Stadt allmählich verkam, wo sich kein Lobby gebildet hatte, um die alten Häuser zu erhalten. Wer in diesen feuchten Bauten wohnte, gehörte zu den Ärmsten der Armen, zu den Menschen, die am Rande einer Existenzgrundlage dahinlebten.
Obwohl wir in zwei Nächten die Gegend schon durchfahren hatten, kannten wir das Gebiet noch immer nicht. Jeder Kanal sah gleich aus und war doch irgendwie anders. Sie mündeten alle ineinander, bildeten ein regelrechtes Flechtwerk aus Wasserstraßen. Deren Oberflächen glänzte wie ein schwarzer Spiegel, als sollten die Geheimnisse, die unter ihr lagen, verborgen bleiben.
Unser Boot war nicht groß, aber wir hatten erlebt, daß es sehr schnell sein konnte, wenn es darauf ankam, und das würde vielleicht nötig sein, denn noch hatten wir die Hoffnung nicht aufgegeben.
Tagsüber hatten wir nicht viel von Venedig gesehen, da wir meist schliefen, um für die Nacht fit zu sein. Fiter jedenfalls als der Kommissar, denn er hätte tiefe Ringe unter den Augen, ein Zeichen, daß ihn der Dienst streßte, denn der Commissario mußte auch während des Tages über fast die gesamte Zeit im Büro sein.
Wir tuckerten jetzt durch einen etwas breiteren Kanal. Tuckern ist der richtige Ausdruck, denn unser Boot fuhr nicht einmal mit einem Drittel der Kraft. Hinter uns quirlte die Schraube das Wasser zu einem helleren Schaum auf, der sich teilte und als breiter Streifen in die schwarze Fläche hineinstieß.
Als wir unter einer Brücke herglitten, drehte sich Tolini um.
»Wollen Sie wirklich morgen wieder fahren?« fragte er und zog dabei ein bedauernswertes Gesicht.
»Heute schon, mein Lieber«, sagte ich. »Wir können uns hier nicht die Nächte um die Ohren schlagen.«
»Und wenn dann etwas passiert?«
»Geben Sie uns Bescheid.«
»Es kann zu spät sein.«
Ich hob die Schultern. »Das Risiko, mein Lieber, müssen wir eben eingehen.«
»Ihr Engländer habt keine Geduld.«
Suko lachte daraufhin. »Sie vergessen, daß ich Chinese bin.«
»Nehmen Sie sich ein Beispiel an Ihren Vorfahren. Die konnten warten und warten…«
»Die hatten auch mehr Zeit«, sagte der Inspektor.
»Dabei wollte ich noch mit Ihnen in ein tolles Lokal gehen«, versuchte Tolini es jetzt anders herum. »Wirklich Spitzenklasse, kann ich Ihnen sagen…«
»Vielleicht im Urlaub.«
Der Kommissar ließ vor Schreck das Steuer los. »Bekommen Sie auch Urlaub?«
Da mußte ich passen.
Auch der Kommissar schwieg. Er kannte den Job, den Streß, den harten Dienst, aber es hatte auch aus seinen Worten ein wenig Egoismus herausgeklungen, denn wenn die Vampire erschienen und wir waren nicht mehr da, stand er auf verlorenem Posten.
Außerdem würde ihm sein Chef eine Rüge erteilen.
Vor uns erschien eine Kreuzung zweier Wasserstraßen. Für einen Moment schaltete Commissario Tolini den Scheinwerfer ein. Sein helles Licht zuckte nicht nur über das Wasser, wo es Reflexe warf, sondern traf auch Hauswände und ließ uns dort all das Morbide sehen, was manche Menschen an Venedig so fasziniert.
Mich stieß es eher ab.
»Wir können wählen«, sagte Tolini. »Rechts oder links.«
»Fahren Sie dahin, wo wir gestern auch hingefahren sind«, erwiderte ich müde. Ich glaubte nicht mehr so recht daran, daß sich noch etwas tun würde, die roten Vampire konnten wir in die über Venedig hängenden schwarzen Wolken schreiben.
»Bitte sehr«, sagte der Kommissar und zog das kleine Boot in eine scharfe Rechtskurve.
Die Stunden zwischen Mitternacht und dem Hellwerden gehören zu den schlimmsten. Da verlor man die Kondition, der Körper verlangte nach Schlaf, und es war kein Wunder, daß ich gähnen mußte.
Suko stieß mich in die Rippen, aber Tolini hatte es bereits bemerkt. »Keine Kondition, die jungen Leute. Was sollen wir denn da erst
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