0232 - Sieben Siegel der Magie
geschossen. In den Rücken jagte sie die Garbe.
Wir hatten Lupina liegen sehen. Tot, erledigt, ausgelöscht. Nun stand sie vor mir.
»Warum zögerst du?«
Ich lauschte ihrer Stimme nach und auch den Echos der Schüsse, die allerdings verstummt waren, bis noch eine kurze Salve aufdonnerte.
Und in diese Detonationen hinein peitschte auch mein Schuss.
Dieses plötzliche Abdrücken war mir wie eine Reflexbewegung vorgekommen, nicht vom Hirn gesteuert, aber die Kugel ließ sich nicht aufhalten. Sie fand todsicher ihr Ziel.
Wirklich todsicher? Im ersten Augenblick sah es so aus, denn das geweihte Silbergeschoss hieb in die Körpermitte der Dämonin.
Lupina stand wie eine Eins. Ich hatte damit gerechnet, dass sie zu Boden fallen würde, dies geschah jedoch nicht. Mein Geschoss hatte sie wohl ein Stück weiter zurückgetrieben, bis gegen die Wand, aber dort hatte sie sich noch fangen können. Ihr Körper erzitterte.
Ich stand mit schussbereiter Waffe da, meine Lippen waren verzogen, mein Gesicht müsste einen verzerrten Ausdruck zeigen, denn all die Spannung spiegelte sich auf ihm wider, die in meinem Innern steckte.
Da bewegte Lupina ihre fellbesetzten Arme. Von zwei Seiten fuhren sie auf das Loch der Einschussstelle zu, und ich hatte das Gefühl, als wollte sie das Geschoss wieder aus ihrem Körper zerren.
Das konnte sie nicht, sie presste nur die Hände gegen die Einschussstelle und schüttelte plötzlich den Kopf, wobei sie ebenfalls die Lippen in die Breite zog und mir die nächsten Worte zischend entgegenschleuderte: »Nein, John Sinclair, so nicht. Auf keinen Fall. So bin ich nicht zu töten. Niemals…«
Was waren das für Worte? Ein Werwolf widerstand den geweihten Silberkugeln?
Mein Weltbild geriet ins Wanken. Verdammt, was hatte ich alles falsch gemacht, dass es soweit kommen musste? Lupina durfte doch nicht mehr leben, sie musste tot sein, sich auflösen, zerstört werden…
Ich schüttelte den Kopf, hob noch einmal die Beretta ein wenig an und schoss wieder. Dicht über ihren auf den Leib gepressten Händen traf die Kugel. Sie hieb durch das im Licht der einzigen Lampe etwas rötlich schimmernde Fell, und Lupina sackte in die Knie. Aber sie fiel nicht.
Es war unwahrscheinlich und auch unglaublich, dass sie sich noch auf den Beinen halten konnte, nur ihr Gesicht verzerrte sich weiter, als würden die Schmerzen immer stärker.
Und dann lachte sie. Es war eine Mischung aus rauhem Knurren und Höllengelächter.
Mir trieb dieses Lachen eine Gänsehaut über den Rücken. Ich schüttelte mich, als hätte man mich mit Wasser begossen und konnte nicht begreifen, dass so etwas vor meinen eigenen Augen geschah.
»So nicht, John Sinclair. So nicht…«
Sie ächzte, sie stöhnte, aber sie blieb am Leben und bewegte sich dicht an der Wand entlang nach links von mir weg.
»Ich habe es dir gesagt«, stieß sie stockend hervor. »Wir sind stärker, viel stärker. Gemeinsam werden wir euch vernichten. Wir, die Wölfe. Orapul und…«
Da war der Name ihres Sohnes gefallen. Orapul! Himmel noch mal, was hatte er mit der Sache zu tun? Ich erinnerte mich wieder. Orapul war entkommen. Wir hatten alle angenommen, dass er den Tod seiner Mutter Lupina rächen würde. Nun hatten die beiden wieder Kontakt aufgenommen, und gemeinsam waren sie stark, noch stärker als Lupina allein.
»Was ist mit Orapul?«
»Du ahnst es nicht, John Sinclair. Du weißt nichts, gar nichts, und du wirst weiterhin nichts wissen, das kann ich dir sagen. Die Überraschungen nehmen kein Ende, für dich nehmen sie kein Ende, und für die anderen auch nicht. Sie werden schrecklich sein, blutig, und du wirst das verdammte Buch der sieben Siegel auch nicht bekommen. Wenn ich es nicht kriege, soll es keiner bekommen. Sieben Siegel der Magie. Eins aber nur, das vierte, beschäftigt sich mit dem Kreuz, das vierte, John Sinclair…«
Die Überraschungen nahmen in der Tat kein Ende. Denn heftig wurde die Tür aufgestoßen, und mein nach den Schüssen aufgekeimter Verdacht bestätigte sich voll.
Lady X war da!
Doch nicht allein. Sie hatte Helfer mitgebracht. Aus dem Reich der Schatten waren die Diener des Spuks erschienen…
***
Noch nie in ihrem Leben war Mrs. Sarah Goldwyn aus dem Fenster ihres eigenen Hauses gesprungen. Doch was sein musste, das musste eben sein, und so nahm Lady Sarah auch dieses in Kauf.
Sie stieß sich von der Fensterbank ab, fiel und landete im Geäst einer noch jungen Scheinbuche, die unter dem Gewicht der Frau
Weitere Kostenlose Bücher