0233 - Allein in der Drachenhöhle
sie ausstieß. Damit hatte sie auf keinen Fall gerechnet, für sie war es eine böse Überraschung geworden, und ihr war klar, was das zu bedeuten hatte. Lupina und Orapul waren eine Lebensgemeinschaft eingegangen. Zwei Personen in einer.
So lautete des Rätsels Lösung. Es gab nicht mehr nur Lupina und auch nicht nur Orapul, die beiden waren jetzt eins.
Nie hatte Lady X damit gerechnet. Es war eine unbewusste Bewegung, vielleicht auch eine Geste der Hilflosigkeit, als sie die Maschinenpistole, anhob und auf die höher stehende Gestalt zielte.
»Wage es nicht!« sagte eine fremde Stimme. »Wage es nur nicht. Es würde dein Ende bedeuten!«
Was Lady X sonst nie getan hätte, das machte sie jetzt. Die Mündung der Waffe senkte sich und deutete zu Boden.
»Verstehst du nun?« Lupina sprach mit der Stimme ihres Sohnes.
»Nein…«
»Dann will ich es dir erklären. Du hast mich erschossen, mich, Lupina. Doch du hast nicht damit gerechnet, dass es zwischen den Werwölfen eine ungemein starke Verbindung gibt. Wir Wölfe sind in der Lage, einen Seelenaustausch durchzuführen. Das ist bereits bei einer Frau gelungen, die zu John Sinclair gehörte. Auch die Seele der Nadine Berger ist in den Körper eines Wolfs gelangt. Du und auch die anderen haben die Macht der Werwölfe immer unterschätzt. Ich weiß, dass wir die Menschheit überleben werden, denn im Untergrund haben wir uns weiter entwickelt. Schon vor langer Zeit sind es die Wölfe gewesen, die niemand hatte ausrotten können. Sie haben sich den Bedingungen angepasst, aber trotzdem ihre Wildheit nicht verloren. Und über allem wacht Fenris, der Götterwolf. Seine Magie machte es möglich, dass so etwas geschehen konnte. Lupina allein ist tot, vernichtet, aber sie lebt weiter im Körper ihres Sohnes, und wir sind in der Lage, uns zu verwandeln. Einmal steht Orapul vor dir, dann wieder Lupina. Willst du mich jetzt sehen?«
»Ja«, hauchte Lady X.
»Dann bitte.«
Im nächsten Augenblick lief die Verwandlung wieder rückwärts ab. Aus Orapul wurde Lupina, und Lady X blieb nichts anderes übrig, als nur mit großen Augen zu schauen. Es war ungeheuerlich, was sie da geboten bekam. Schwarze Magie in höchster Potenz. Sie selbst kam nicht mehr mit, konnte es kaum begreifen und erst recht nicht erklären, sie musste sich nur damit abfinden.
Wie einen Geist starrte sie Lupina an, die da im Halbdunkel des Treppenhauses stand.
»Alle haben die Wölfe unterschätzt«, flüsterte Lupina. »Die Menschen und auch du, Lady X. Und alle werden sich noch wundern, wenn ich zusammen mit meinem Sohn zuschlage.«
»Jetzt kann ich verstehen, dass du nicht mehr bei Solo Morasso bleiben wolltest«, sagte Lady X.
Lupina lachte. »Was war er denn schon? Ein Nichts, ein aufgeblasener Fant. Er hat sich die Macht genommen, die ihm nicht zustand. Ich habe es sehr schnell bemerkt, und auch die Tatsache, dass er Asmodina vernichtet hat, führe ich nicht auf seine Kraft oder sein Können zurück, das war einfach Glück.«
»Möglich.«
»Du hast selbst erlebt, dass er sich kaum wehren konnte, als es hart auf hart kam. Jetzt ist er vernichtet, und seine Rache war ebenfalls ein Schuss ins Leere. Er hat seinen Feind John Sinclair nicht besiegen können, das war nicht möglich, da der Geisterjäger ihm immer einen Schritt voraus war.«
»Und jetzt?« fragte Lady X, als sie die Überraschung einigermaßen überwunden hatte.
»Müssen wir uns das Buch holen!«
Die Vampirin schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Das werden wir kaum schaffen.«
»Was sollte uns hindern?«
»John Sinclair selbst.«
Die Königin der Wölfe winkte ab. »Ich gebe zu, dass auch ich einen Fehler gemacht habe, wir hätten uns vielleicht doch vorher verbünden sollen, ich aber wollte, dass du mit Sinclair zusammentriffst und ihr euch gegenseitig auslöscht, so dass ich die lachende Dritte gewesen wäre. Leider hat mein Plan nicht funktioniert, aber noch ist nichts verloren. Bei einem zweiten Anlauf werden wir es schlauer beginnen.«
»Du vergisst den Spuk.«
»Nein, den habe ich nicht vergessen. Nur wird er das Buch auch nicht besitzen.«
»Was macht dich so sicher?«
»Wenn er es hätte, dann hätte er es uns längst gezeigt, das ist sicher.«
»Lupina hat recht!«
Beide Wesen wurden von der Stimme überrascht, die hinter und unter ihnen im dunklen Hausflur aufgeklungen war. Sehen konnten sie nichts, da die düstere Gestalt des Spuks von der Finsternis verschluckt wurde.
Scharf drehte sich Lady X um.
Weitere Kostenlose Bücher