0241 - Der Pesthügel von Shanghai
können wir tun, gar nichts. Nur einfach abwarten und darauf hoffen, daß John und Suko es schaffen.«
»Wie sehen Sie denn die Chancen, Sir?« wollte Glenda wissen.
Der Superintendent hob die Schultern. »Die Chinesen haben Probleme. Und zwar so große, daß sie allein nicht damit zurechtkommen. Wenn sie jemand zu Hilfe holen, dann ist der Krug verdammt tief in den Brunnen gefallen, das können Sie mir glauben.«
»Es sieht also schlecht aus«, stellte Glenda Perkins mit zittriger Stimme fest.
»Ich möchte mich da nicht festlegen, aber wir müssen mit allem rechnen, wie bei jedem Fall.«
Shao wurde nach dieser Antwort des Superintendenten noch blasser.
***
Wir hatten damit gerechnet, daß Quen mit seinem Bericht beginnen würde, doch wir sahen uns getäuscht. Er lächelte nur hintergründig, entschuldigte sich, ging zur Tür und öffnete sie zuerst einen Spalt, durch den er nach draußen schaute. Dann zog er sie weiter auf, nickte zufrieden und ließ einen Mann eintreten, der wie der alte Konfuzius aussah. Es war wirklich ein uralter Mann. Er glich schon einem Zombie, wenn ich mir so seine Gesichtshaut anschaute, die eigentlich gar keine war, sondern sich aus zahlreichen Fältchen zusammensetzte, so daß der Mund kaum zu erkennen war.
Natürlich trug er einen Zopf, der ihm lang bis auf den Rücken hing. Er hatte sich auch nicht in die Einheitskleidung pressen lassen.
Seine Schultern hielten ein Gewand, das fast bis auf den Boden reichte, gelblich braun schimmerte und an einigen Stellen Drachenmuster zeigte.
Bei ihm fielen auch die Hände auf. Sie waren schmal und besaßen sehr lange Finger, die deshalb besonders auffielen, da er die Hände vor der Brust zusammengelegt hatte, als er uns begrüßte. Das Alter hatte seinen Rücken gebeugt, ich erhob mich und deutete ihm an, sich auf die Bettkante zu setzen.
Er lächelte uns zu, verbeugte sich abermals und nahm danach den ihm zugewiesenen Platz ein.
Ein nahezu ehrfürchtiges Schweigen hatte sich über den Raum gelegt. Dieser Greis hatte bestimmt seine 90 Jahre auf dem krummen Rücken, wenn nicht noch mehr.
Quen übernahm wieder das Wort.
»Das ist Ai-Fu-Tschi. Ein Weiser, wie die Leute sagen, einer, der die Götter beschwören kann. Aber deshalb haben wir ihn nicht kommen lassen. Er ist gleichzeitig der älteste Einwohner des Dorfes, in dem wir uns befinden. Er kennt die Geschichte am besten und wird, wenn Sie Fragen haben, Ihnen gern mit den entsprechenden Antworten zur Verfügung stehen.«
»Sie sind gut vorbereitet«, sagte ich.
»Das müssen wir immer sein, Mr. Sinclair.«
»Dann fangen Sie mal an«, sagte Suko, der sich an die Wand gelehnt und die Arme vor die Brust verschränkt hatte.
»Wie Sie wissen, haben wir Sie auf eine etwas außergewöhnliche Art und Weise nach China und damit in die Nähe von Shanghai schaffen lassen. Wir befinden uns hier in einem kleinen Ort nahe der größten Stadt Chinas. Hier werden seit Generationen Seidenraupen gezüchtet, und die Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt damit. Aber das ist nicht das Problem. Die Pest ist schlimmer.«
Ich runzelte die Stirn, wollte etwas sagen, doch Chen hob die Hand, und ich schwieg.
»Die Pest hat hier vor einigen Jahrhunderten gewütet und unzählige Opfer gefunden. Man hat die meisten auf kaiserliche Anordnung hin verbrannt, aber nicht alle Überlebenden sind diesen Befehlen nachgekommen. Sie wollten ihre Verwandten einfach nicht dem Feuer übergeben und lehnten das Diktat ab. Aus dieser Umgebung wurden die Toten z. B. in den Sumpf geworfen, der das Dorf praktisch einschließt. Verbindung zur Außenwelt besteht nur durch einen alten Knüppeldamm, den Sie sicherlich noch zu sehen bekommen. Seit dieser Zeit heißen die Hügel um das Dorf Pesthügel. Man warf die Toten also in den Sumpf, und damit hatte es sich.«
»Sind sie als Moor- oder Sumpfleichen wieder zurückgekommen?« wollte ich wissen.
»Genau, Mr. Sinclair. Sie haben das Problem erkannt. Wir sind der Meinung, daß die Toten als Moorleichen erschienen. Als lebende Leichen, Zombies, wie man bei Ihnen sagt.«
»Und der Grund?« Die Frage stellte Suko. Sie war auch berechtigt, denn bei unseren Gegnern geschah auch nichts ohne Ursache oder tiefere Bedeutung.
»Darauf komme ich noch«, erklärte uns Quen. »Lassen Sie mich vorher von dem ersten Toten berichten, einem Landsmann von Ihnen. Er hieß Ryan O’Casey, stammte aus England, wohnte allerdings schon lange in Hongkong und arbeitete als Verkaufsleiter bei einer
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