0241 - Der Pesthügel von Shanghai
Grauen hatte sich dort etabliert.
Begleitet von den stinkenden Sumpf- und Pestnebeln, waren die lebenden Leichen aus dem Sumpf gekrochen und kamen in einer breiten Reihe langsam näher.
Die Invasion des Schreckens nahm ihren Fortgang…
***
Man mutete uns verflucht viel zu! Es war eine regelrechte Horrorflut, die sich über die Straße wälzte und sicherlich uns als Ziel hatte.
Seltsamerweise konnten sich diese braunen, makabren Gestalten auf dem weichen Boden bewegen, im Gegensatz zu uns, da wir den Gesetzen der Physik gehorchten.
Sekundenlang sprachen wir kein Wort. Ein jeder nahm den Eindruck auf, der sich unseren Augen bot.
Während Suko und ich der Invasion ein wenig gelassen entgegenschauten – wir erlebten so etwas nicht zum erstenmal –, war es für Quen sehr, sehr schlimm.
Er sprach zwar kein Wort. Was er jedoch empfand, konnte man seinem Gesicht ablesen.
Immer wieder schüttelte er den Kopf, dabei stand sein Mund halb offen, und der Atem drang pfeifend über die Lippen.
Eine Armee des Schreckens näherte sich uns. Ich hatte angefangen zu zählen, bei der Zahl 20 jedoch gestoppt. Ob 20 oder zehn mehr, was spielte das für eine Rolle?
Sie bewegten sich seltsam schwankend. Irgendwie steif, schwerfällig, und die stinkenden braunen Pestwolken begleiteten sie wie lange Leichentücher.
Auch der Himmel war düsterer geworden. Vielleicht weil die Wolken das Licht so sehr veränderten. Alles paßte zusammen, die Atmosphäre in diesem Dorf war vergiftet worden, und hinter uns fiel das nächste Haus zusammen.
Ich faßte dieses Geräusch als ein Startsignal auf. Länger konnten wir nicht bleiben, wir mußten zu den anderen. Niemand widersprach mir.
Suko reagierte als erster. Er packte das kleine Mädchen und hob es auf seine Schultern.
Dann flüchteten wir.
Ich machte mir schwere Gedanken darüber, ob wir in der Lage waren, die Invasion zu stoppen. Unter Umständen mußte der gesamte Sumpf trockengelegt und ausgebrannt werden. Allein konnten wir so etwas nicht schaffen. Da mußte Hilfe her.
Vielleicht sogar Militär.
Bei einem kurzen Stop sprach ich Quen darauf an. Er nickte heftig, holte ein paarmal Luft und erwiderte dann: »Wissen Sie, Sinclair, daran habe ich auch gedacht, nur existiert keine telefonische Verbindung mehr nach Shanghai. Das einzige Telefon stand in der Parteizentrale, und die ist zerstört worden.«
»Dann sind wir praktisch Gefangene.«
»So ungefähr.«
Suko hatte unserem Dialog gelauscht. Das Mädchen saß weiterhin auf seiner Schulter und klammerte sich an den hocherhobenen Armen fest. »Dann müßten wir es so machen wie früher im Wilden Westen. Einen Boten losschicken.«
»Das ist natürlich eine Möglichkeit«, gab Quen zu. »Allerdings wird dies lange dauern. Inzwischen haben die Bestien das Dorf längst zerstört.«
Da hatte er recht. Zudem bekamen wir mit, wie abermals drei Häuser auf einmal zusammenstürzten.
Es war schlimm.
Und die Untoten drangen weiter vor. Sie hielten sich auf der Straße, die den Ort teilte. Dabei schlenkerten sie mit den Armen und erinnerten mich in diesen Augenblicken an Puppen.
Ich drehte mich und schaute zu den Terrassenfeldern hin. Dort hatten sich die Leute versammelt und winkten uns zu, denn sie besaßen einen freien Blick auf das Dorf.
Auch den weisen Ai-Fu-Tschi erkannte ich unter ihnen. Mit ihm mußte ich noch ein Wort reden, er kannte die Geschichte am besten, vielleicht wußte er einen Rat.
»Los, weiter!« drängte ich.
Die anderen hielt auch nichts mehr an ihrem Platz. So schnell es ging, setzten wir uns in Bewegung.
Wir rannten, denn jeder von uns wußte genau, daß der Sumpf nicht stehenblieb. Wir wollten ihm keine Chance geben, uns einzuholen, dann kamen wir nicht mehr heraus.
Immer wieder warf ich während des Laufens einen Blick über die Schulter, weil ich das Chaos mit eigenen Augen verfolgen wollte. Es war in der Tat ein Chaos.
Nicht nur aus dem Sumpf kletterten die braungrünen Monstren, sie kamen auch unter den zusammengebrochenen Häusern her, bewegten sich kriechend voran, hatten die Arme ausgestreckt und gesellten sich zu ihren Artgenossen.
Die Armee wurde von Minute zu Minute größer. Doch wir mußten kämpfen! Auf die Einwohner des Dorfes konnten wir nicht zählen, sie bedurften selbst des Schutzes.
Schließlich hatten wir die letzten Häuser erreicht. Die Straße führte noch weiter, sie teilte ein großes Reisfeld, über das der Wind strich und die grünen Halme bewegte. Sie wuchsen aus dem Wasser,
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