0248 - Gatanos Galgenhand
brennen, als sie aus dem Raum ging. Lucille fühlte sich müde, auf dem Gang gähnte sie auch, und sie nahm sich vor, so rasch wie möglich ins Bett zu gehen.
Am Ende des Flurs befand sich die große Doppeltür, hinter der ihr Arbeitszimmer lag. Sie hatte jeden Raum nicht nur anders eingerichtet, auch verschiedenfarbig gestrichen. Da gab es Zimmer mit blauen, roten oder grünen Wänden. Auf manchen hatten Künstler ihre Spuren hinterlassen und die Wände mit verrückten Motiven bemalt.
Die Wände des Arbeitszimmers waren dunkel. Zwar nicht schwarz gestrichen, aber Lucille hatte ein dunkles Grün ausgewählt. Es gab dort nicht viel an Möbelstücken, nur einen runden Tisch mit vier Stühlen.
Damit die Stimmen der Menschen nicht hallten, wenn sie sich in dem verhältnismäßig großen Raum aufhielten, waren die Wände zusätzlich mit einem schallschluckenden Material verkleidet worden.
Der runde Tisch stand in der Mitte des Zimmers. Als Lucille ihn anschaute, sah sie noch die letzten Karten liegen. Eine alte Petroleumleuchte stand ebenfalls auf der grünen Tischdecke und verbreitete ihren warmen Schein.
Die Flamme sah aus wie ein langer Finger, als sie innerhalb des Zylinders hochstieg.
Lucille dachte an ihre letzte Kundin. Sie war gegangen und würde wiederkommen, um mit ihrem Mann sprechen zu können. Einen Kontakt mit dem Jenseits hatte Lucille bisher noch nicht hergestellt, höchstens an gewisse Jenseitswelten angeklopft, aber sie war auch neugierig zu erfahren, wie es dort zuging.
Man las ja in letzter Zeit immer mehr Berichte von Menschen, die angeblich einen Blick ins Jenseits geworfen hatten.
Irgendwie fürchtete sich Lucille davor. Sie konnte den Grund auch nicht nennen, vielleicht tippte sie mit diesen Dingen an letzten Tabuzonen, die eigentlich verschlossen bleiben mußten.
So konnte es durchaus sein. Und wenn es Kräfte im Jenseits gab, die auf das menschliche Leben Einfluß nahmen, dann war es wohl nicht gut, mit ihnen zu spielen.
Plötzlich zuckte sie zusammen. Sie hatte etwas gehört.
Ein Stöhnen.
Lucille schloß für einen Moment die Augen. Sie beschwor sich selbst, ruhig zu bleiben. Sie wollte sich nur nicht verrückt machen lassen, sondern logisch denken.
Das Stöhnen konnte wohl existieren, es durfte jedoch nicht, denn sie befand sich allein in der großen Wohnung. Als die letzte Kundin gegangen war, hatte sie hinter sich abgeschlossen. Es konnte niemand das Geräusch ausgestoßen haben.
Und doch hatte sie es gehört.
Lucille setzte sich aufrecht hin. Sie spannte den Rücken durch, saß steif wie ein Ladestock und horchte. Wiederholte sich das Stöhnen, oder hatte sie sich tatsächlich getäuscht und war die Fantasie mit ihr durchgegangen.
Alles blieb ruhig. Nichts war mehr zu vernehmen. Das konnte nur ein Irrtum gewesen sein.
Sie lauerte.
Lucille wirkte jetzt sprungbereit, als sie auf dem Stuhl hockte. Eine Hand lag flach auf dem Tisch, die andere hatte sie zur Faust geballt und auf ihren linken Oberschenkel drapiert.
Und da hörte sie es wieder.
Ein furchtbares Geräusch. Sie war nicht in der Lage, es zu lokalisieren, denn es kam von überall. Es drang aus den Wänden, ein Ächzen in Stereo, und Lucille hatte das Gefühl, als wären die Mauern des Zimmers mit einem schrecklichen Leben erfüllt.
Sie sprang auf.
Das geschah so heftig, daß der Stuhl ins Wanken geriet und fast umgekippt wäre. Vor dem Tisch blieb sie stehen und stützte die Hände auf die Platte.
Sie dachte wieder an das Jenseits. Hatte sie durch ihre Kontaktversuche mit einer anderen Welt Kräfte erweckt, die nicht mehr zu kontrollieren waren?
Dieser Gedanke kam ihr automatisch, aber sie hoffte, daß dies nicht der Fall war und sich alles als für sie positiver Irrtum herausstellen würde.
Im Augenblick war von dem Geräusch nichts mehr zu hören. Eine seltsame Stille lag über dem Raum, nur unterbrochen von ihrem Atmen.
Aber es würde wiederkehren, dessen war sie sicher.
Und es kam wieder.
»Aaahhhh…« Aus allen Wänden drang es und hörte sich an, als würde jemand unter schrecklichen Schmerzen leiden.
Lucille kreiselte herum. In ihren Augen irrlichterte es. Es war die Angst, die plötzlich übermächtig wurde. Eine Angst, die sie sonst nie gekannt hatte, obwohl sie sich immer mit seltsamen Zusammenhängen beschäftigte.
Diesmal war es anders. Da konnte sie nichts kontrollieren, denn der Schrecken diktierte das Geschehen und kam aus einer unfaßbaren Welt auf sie zu.
Er lauerte in der Nähe.
In
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