0249 - Die Stunde der Bestien
denn wissen, dass es kein Buch war?«
»Ein einzelnes Blatt Papier erscheint einem so leicht, dass man sein Gewicht kaum spürt. Aber du weißt, wie schwer gerade Bücher sind. Für die Größe und die Dicke des Buches hatte es höchstens sein halbes Gewicht. Jedenfalls war es auffallend leicht.«
»Merkwürdig«, wiederholte Phil. »Glaubst du, dass wir uns dafür interessieren sollten?«
»Ich bin dafür, dass wir uns für alles interessieren, bis wir den Mörder haben, dann kann meinetwegen wieder jeder seine zwanzig kleinen privaten Geheimnisse haben. Im Augenblick können wir uns nicht leisten, über merkwürdige Dinge hinwegzusehen.«
»Nein, da hast du wohl Recht. Aber was sollen wir unternehmen? Ich habe ein paar Blanko-Durchsuchungsbefehle. Wir brauchten nur ihren Namen in die freie Spalte einzutragen, und wir wären gerichtlich zu einer Durchsuchung ihres Wohnwagens ermächtigt. Aber ich möchte nur in den aller dringendsten Fällen von diesen Durchsuchungsbefehlen Gebrauch machen.«
»Dieses sogenannte Buch läuft uns ja nicht weg. Vorläufig wollen wir erst einmal versuchen, ob wir auf anderem Wege erfahren können, was es mit diesem Ding auf sich hat. Übrigens hat das Mädchen, was selten vorkommt, einen richtigen Papierkorb in ihrem Wohnwagen. Und weißt du, was ich darin fand?«
»Keine Ahnung. Ich hoffe, du lässt’s mich wissen.«
»In dem Korb lag ein Bogen Packpapier. Gebraucht. Ein paarmal gefaltet, verstehst du, wie es sich beim Einwickeln eines rechteckigen Päckchens ergibt. Der Größe nach hätte das Buch darin gewesen sein können.«
»Demnach hätte sie es von irgendwo geschickt bekommen?«
»Nicht von irgendwo, sondern von San Francisco. Hier ist die Briefmarke, die auf dem Päckchen klebte. Der Poststempel stammt aus San Francisco, wie du siehst, und zwar von vorgestern. Aufgegeben auf Postamt 1 zwischen drei und vier Uhr nachmittags.«
»Wenn du dich schon unter irgendeinem Vorwand in den Besitz der Briefmarke bringen konntest, wäre es dir da nicht auch möglich gewesen, den Absender zu lesen?«
»Steht keiner drauf«, brummte ich lakonisch.
»Oh, das macht die Sache allerdings noch interessanter. Gewöhnliche Leute haben keine Ursache, ihren Absender zu verschweigen, wenn sie Bekannten oder Verwandten ein Päckchen schicken.«
»Das dachte ich auch.«
»Okay. Die ganze Post für den Zirkus wird im Bürowagen abgeliefert. Umgekehrt bringen die meisten Leute hier ihre Briefe, Karten und Päckchen ebenfalls zum Bürowagen, wo sie abends gegen sieben von einem Postboten abgeholt werden. Es müsste also ziemlich leicht sein, ein- und ausgehende Korrespondenz der Marchese unter Kontrolle zu halten. Ich werde das gleich morgen früh mit Eve Johnson besprechen.«
»Okay«, gähnte ich. »Liegt sonst noch etwas an? Ich bin müde. Wo ist eigentlich der Staatsanwalt?«
»Er ging schon vor einer guten halben Stunde hinüber zum Wagen des Direktors. Vermutlich wird er ihm selbst mitteilen, dass das Vorstellungsverbot aufgehoben ist.«
»Unser allgewaltiger Boss wird ihm deshalb bestimmt nicht böse sein. Ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht, Phil.«
»Gute Nacht, Jerry.«
***
Little Joe zappelte ungeduldig auf dem Stuhl herum, den Phil ihm im Wohnwagen angeboten hatte. Die Vorhänge an den Fenstern waren geöffnet, der helle Lichtschein einer strahlenden Sommersonne fiel herein. Phil nippte von seinem Kaffee, den er sich selbst zubereitet hatte. Der Liliputaner hatte die angebotene Tasse abgelehnt.
»Mister Tiggers«, sagte Phil freundlich, »die meisten Menschen hier scheinen das Gefühl zu haben, als ob ich jedem was am Zeuge flicken wollte. Das ist ein großer Irrtum. Ich habe nur ein Interesse, den Mörder zu fangen. Dieses Interesse müssen alle redlich gesinnten Menschen mit mir teilen. Nicht einmal aus Rachsucht oder dergleichen, sondern ganz einfach aus der nüchternen Erwägung heraus, dass jeder von uns das nächste Opfer sein kann- Sehen Sie, Mister Tiggers, für jeden Mord gibt es gewöhnlich ein Motiv oder zumindest eine gerade für diesen Fall typische Ursache. Eifersucht, Hass, Rachegefühle sind einige der wichtigsten Mordmotive.«
Little Joe schloss die Augen. Er grübelte, aber er schüttelte schließlich den Kopf.
»Nein, Sir. Ich glaube nicht, dass es unter uns einen gibt, der den Zirkus hasst. Das wäre ja auch eine seltsame Sache, nicht wahr? Niemand ist gezwungen, beim Zirkus zu arbeiten.«
»Versteht Beppo eigentlich etwas von Gewehren?«
»Das
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