0249 - Die Stunde der Bestien
weiß ich nicht, Sir. Aber ich kann es mir nicht denken. Wir teilen jetzt seit sechsundzwanzig Jahren den Wohnwagen. Ich hätte es doch irgendwie merken müssen.«
»Das ist anzunehmen. Sie vertragen sich gut mit Beppo?«
»Sehr gut, Sir. Beppo ist der beste Mensch, den ich kenne. Vor sechsundzwanzig Jahren haben wir uns in Birma kennengelernt.«
Phil lehnte sich zurück und beobachtete den kleinen Mann genau.
»Mister Tiggers«, sagte er betont, »was glauben Sie, wie die Winchester hinter den Schrank gekommen ist?«
Little Joe machte eine ratlose Geste mit den Händen.
»Jemand muss sie dort versteckt haben.«
»Sicher. Aber wer?«
»Das weiß ich nicht, Sir.«
»Wirklich nicht?«
Phils Stimme konnte unangenehm scharf werden. Little Joe zuckte zusammen und rief.
»Aber wenn ich es wüsste, würde ich es doch sagen. Schließlich bin ich selbst schon durch dieses elende Gewehr in den Verdacht geraten der Mörder zu sein.«
»Man sagte mir, Sie hätten eine sehr große Zuneigung zu Beppo. Stimmt das?«
»Oh, ja, Sir.«
»Geht diese Zuneigung so weit, dass Sie ihn auch decken würden, wenn er der Mörder wäre?«
Little Joe wurde blass. Er senkte den Kopf und zerrte nervös an seinen Fingern. Mit entwaffnender Ehrlichkeit bekannte er.
»Ich glaube, ich würde ihn nicht verraten.«
»Aber Sie trauen es ihm zu, dass er der Mörder sein könnte?«
»Nein. Niemals.«
»Dabei liegt aber doch auf der Hand, dass er das Gewehr am leichtesten in eurem Wohnwagen verstecken konnte, nicht wahr?«
»Sir, ich bin kein Polizist und kein Detektiv. Es ist nicht meine Aufgabe, mir über dieses oder jenes den Kopf zu zerbrechen. Ich bin Beppos Freund.«
Im Grunde gefiel Phil diese kompromisslose Einstellung zum Freund, wenn er auch nichts dazu sagte. Er dachte eine Weile nach und kramte dabei in den Papieren und Notizen, die vor ihm auf dem Klapptisch lagen.
»Mister-Tiggers«, fing er danach wieder an, »als Sie mit Mister Kenton sich in der Nähe Ihres Wohnwagens aufhielten, um Rattenjagd zu machen, haben Sie da irgendwelche Leute gesehen?«
»Nein. Wieso?«
»Lido Marchese ist Ihnen zu dieser Zeit also nicht zufällig begegnet?«
»Nein, Sir. Aber ich habe sie gesehen.«
»Wo?«
»Sie war in ihrem Wohnwagen. Zusammen mit dem Spanier.«
»Mit welchem Spanier?«, fragte Phil verdutzt.
»Mit dem Chef der Kapelle. Er hat einen so unmöglich langen Namen, dass ich ihn nicht behalten konnte. Aber er war damals bei der Marchese im Wagen. Ich sah sie durchs Fenster.«
»Können Sie mir genau sagen, wann Sie den Kapellmeister bei der Marchese im Wagen sahen? Vor oder nach dem Schuss?«
»Oh, Sir, das war lange vor dem Schuss, als ich ihn zufällig an ihrem Fenster bemerkte.«
»Im Wagen brannte also Licht?«
»Ja, Sir.«
»Sie sahen ihn nur dieses eine Mal?«
»Ja, Sir.«
»Aber die Marchese sahen Sie auch?«
»Ja. Sie stand dicht neben dem Kapellmeister. Dann gingen sie in einen Teil des Wagens, wo man sie durchs Fenster nicht sehen konnte.«
»Konnten Sie verstehen, was die beiden miteinander sprachen? Manchmal steht doch ein Fenster offen.«
»Nein, Sir, ich konnte sie nicht verstehen. Sie mussten sehr leise sprechen, denn es drang kein Laut heraus. Ich war sehr froh darüber.«
»Wieso?«
»Na, wenn sie laut gesprochen hätten, wäre doch erst recht keine Ratte aus ihrem Loch aufgetaucht. Und wir wollten doch wenigstens eine Ratte erschießen. Wo nämlich eine Ratte getötet worden ist, Sir, da verschwinden die anderen von allein.«
»Davon bin ich nicht unbedingt überzeugt«, grinste Phil. »Ich kenne Gegenden, wo auf zehn tote Ratten zwanzig neue kommen. - Sonst ist Ihnen niemand begegnet? Der Schwarze Adler vielleicht oder der Dompteur?«
»Nein, Sir. Nur ein Zirkusarbeiter kam gleich nach dem Schuss aus dem Zelt heraus und ging zum Wagen der Arbeiter.«
»Was verstehen Sie unter ›gleich nach dem Schuss‹? Eine halbe Minute danach, zwei Minuten später oder drei?«
»Nun, ich habe natürlich nicht die Sekunden gezählt, Sir. Aber es war höchstens eine knappe Minute nach dem Schuss.«
Damit schied der Mann von vornherein aus. Der Schuss war genau auf der entgegengesetzten Seite des großen Zeltes abgefeuert worden. Sofort danach musste der Mörder ganz in der Nähe irgendwo das Gewehr versteckt haben. Erst danach konnte er daran denken, die Flucht anzutreten. Selbst ein Olympia-Sprinter hätte den großen Bogen rings um das Zelt bis zur anderen Seite nach dem Verstecken des Gewehrs nicht
Weitere Kostenlose Bücher