0249 - Die Stunde der Bestien
vorübergehenden Urlaub. Ich habe alle Urlaube im Voraus verbracht.«
»Hm«, brummte Elldon. Er erbat sich mit einer fragenden Bewegung die Erlaubnis, sich eine Zigarre anzünden zu dürfen, was er mit umständlicher Sorgfalt tat, nachdem ein stummes Kopfnicken des Hausherrn die angebotene Zigarre abgelehnt hatte.
»Wenn Sie noch Zeit haben, Mister Elldon«, sagte Sinsdale nach einer Weile, »würde ich ihnen gern den zweiten Teil dieser Geschichte erzählen. Jetzt bin ich ins Reden gekommen, jetzt möchte ich gar nicht wieder aufhören.«
»Oh, es gibt noch eine Fortsetzung?«, erkundigte sich der Besucher lebhaft. »Das ist ja interessant. Bitte, Mister Sinsdale, ich bin außerordentlich begierig, diese Fortsetzung zu erfahren.«
»Ich weiß nicht, ob man es eine Fortsetzung nennen kann«, murmelte der Gelähmte. »Ich selbst komme in diesem zweiten Teil eigentlich kaum vor. Und trotzdem hängt er eng mit mir und dem ersten Teil der Geschichte zusammen.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Ich will es Ihnen erklären. Sehen Sie, als ich noch zur Schule ging, verliebte ich mich in ein Mädchen, das ein paar Jahre jünger war als ich. Sie wissen ja, wie das geht. Man trifft sich auf dem Schulweg, um ein Stück zusammen gehen zu können, man macht wohl auch einmal einen kleinen Umweg, wenn die Schule vorbei ist, aber man steht Höllenqualen aus, bevor man sich getraut, das Mädchen auch nur schüchtern an der Hand zu fassen.«
Elldon schmunzelte.
»Das hat wohl jeder mitgemacht«, nickte er. »Die allererste Liebe. Verwirrend, harmlos wie nie etwas im Leben, und doch so zauberhaft schön.«
»Ja. Ich bilde mir immer ein, in meinem Fälle wäre es noch schöner gewesen. Das bildet sich natürlich jeder ein, das weiß ich. Nur hing ich mit doppelter Zuneigung an dem Mädchen. Meine Mutter war früh gestorben, mein Vater war rauh und scheinbar gefühllos, und meine Seele hungerte doch förmlich nach Zeichen der Zuneigung. Da konzentrierte ich alle meine Sehnsucht auf dieses Mädchen.«
»Ganz natürlich«, brummte Elldon.
»Sie können sich vielleicht denken, was für ein Schlag mich traf, als es eines Tages hieß, Joan, sei verschwunden, Joan, so hieß sie. Ich war wie betäubt. Ein paar Tage lang lief ich wie ein Schlafwandler durch die Straußen und Parks, über alle Wege, die ich mit ihr zusammen gegangen war, in alle Felder und an die kleinen Teiche, wo wir gesessen hatten. Ich glaubte zuerst, ich würde sie finden. Mein Vater schickte mich zum Arzt, denn ich hatte einige Tage lang nichts gegessen. Aber es half alles nichts. Der Arzt konnte mir nicht mit Tabletten helfen. Ich bekam einen Nervenzusammenbruch oder etwas Ähnliches. Als ich mich wieder erholt hatte, war Joan noch immer nicht aufgetaucht.«
»Wie alt war denn das Mädchen damals?«
»Sechzehn oder siebzehn.«
»Und Sie haben nie wieder etwas von ihr gehört?«
»Gehört schon. Aber ich sah sie nie wieder. Das alles war noch zu einer Zeit geschehen, als ich nicht diesen unwiderstehlichen Drang in die Feme in mir spürte. Aber später brach es dann in mir auf wie ein Vulkan. Die Sehnsucht, wegzugehen, irgendwohin, nur weg, brodelte in mir mit einer verzehrenden Glut. Nun, Sie kennen diesen Teil der Geschichte…«
Sinsdale schwieg. Nachdenklich starrte er vor sich hin. Seine Finger bewegten sich leicht auf der verblichenen Decke. Es war, als zeichne er mit dem Nagel des Zeigefingers etwas Sichtbares in den weichen Stoff.
»Anfang 1943 hörte ich dann wieder von ihr. Ich weiß es noch wie heute. Jack war in der Stadt gewesen, um sich nach einem neuen Mähdrescher umzusehen. Als er abends zurückkam, sagte er schon in der Haustür: ›Roger, damit du es weißt, bevor irgendwer dich anruft - sie ist wieder da‹ - Ich verstand nicht gleich, was er meinte. ›Wer ist wieder da?‹, fragte ich. - ›Joan‹, erwiderte er. Und nach so viel Jahren gab es mir noch einen Stich im Herzen, als ich nur den Namen Joan hörte.«
»Sie war also in ihre Heimatstadt zurückgekommen?«, fragte Elldon.
»Sie war noch nicht zurückgekommen. Sie hatte nur eine Postkarte geschrieben. An ihre nächsten Angehörigen. Aber es war wie ein Lauffeuer durch die Stadt gegangen, denn auf eine gewisse Art und Weise hatte jeder erwachsene Mensch damals schon etwas von der kleinen Joan gehört.«
»Inwiefern? Sie reden doch nicht etwa von der berühmten Schriftstellerin Joan S. Perkin?«
»Nein, nein, die meine ich nicht. Aber auf ihre Art war Joan damals ebenso
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