0254 - Die Geistersonne
nicht ständig offen hielt.
Andohr erschauerte, als langgezogenes Heulen durch die Nacht hallte. Aber dann lachte er unbekümmert und setzte seinen Weg fort. Die Flugdrachen scheuten die Begegnung mit dem „Wesen, das die Feuer beherrschte", wie Andohr und seine Artgenossen sich nannten.
Er stieß einen schrillen Pfiff aus, als zwei schwankende Schatten über seinem Wege auftauchten. Die Schatten verschwanden, als hätte die Nacht sie geschluckt Allmählich wurde der Weg schlechter. Zwischen den Feldern zur Rechten wucherte Gestrüpp.
Bald würde die Grenze des Klan-Besitzes erreicht sein.
Andohr blieb stehen, als ein kühlender Hauch seinen nackten, eingefetteten Körper umschmeichelte. Seine Nüstern blähten sich auf. Der Wind trug den Geruch von Wasser mit sich.
Als der angehende Jäger weiterging, geschah es noch vorsichtiger und lautloser als zuvor. Heute sollte er seine Mannbarkeitsprobe ablegen, und Andohr hatte nicht die Absicht, die Erreichung des gestellten Zieles durch eigene Unachtsamkeit in Frage zu stellen.
Ein letztes, halbverwildertes Feld blieb zur Rechten zurück.
Mannshohes Büschelgras mit geisterhaft hellen Wedeln tauchte auf. Die Wedel sahen im ungewissen Schein der Sterne aus wie weißhaarige Greisenköpfe. Sie schienen Andohr zuzunicken und auszudrücken zu wollen: Sieh, wir haben das Ziel erreicht; nun warten wir auf dich. Zeige, daß du unserer Taten würdig bist.
Werde ein Mann!
Andohr lächelte. Er würde heute nacht ein Mann werden. - im Leben oder im Tod!
Plötzlich war der Weg zu Ende.
Das mannshohe Gras stand wie eine Mauer vor Andohr. Er streckte die Spitze des Lanzenschwertes nach vorn und drang ungestüm in die rauschenden Wedel ein. Der Wind wehte ihm entgegen, und gar zu leicht konnte sich ein Sechstatzer im Windschatten von hinten anschleichen. Nur die eigene Schnelligkeit vermochte das zu verhindern. Was von vorn kam, das würde Andohrs ausgeprägter Geruchssinn rechtzeitig wahrnehmen.
Kurz danach stand er vor dem niedrigen und felsenleeren Ufer des „Blutigen Stromes". Glucksen und Gurgeln drang zu ihm herüber. Schemenhaft ragte der finstere Koloß der „Geisterklippe" aus den unübersehbaren Fluten.
Einen einzigen bangen Herzschlag lang erschien Andohr die Klippe wie ein schwarzes Verhängnis. Er fröstelte. Aber dann wappnete er sich mit seinem ganzen Mut und schritt tapfer in die rauschende Flut.
Als ihm das Wasser bis zur Brust reichte, begann er zu schwimmen. Kraftvolle Stöße brachten ihn rasch vorwärts. Das Lanzenschwert hielt er fest umklammert, obwohl ihm diese Waffe plötzlich unzureichend gegenüber den Gefahren erschien, die auf der Geisterklippe lauerten.
Ein naßtriefender Schatten tauchte jählings neben ihm auf. Ein breites, scharfzahniges Maul öffnete sich. Andohr warf sich herum und tauchte weg. Über ihm wurde die Flut schäumend aufgewühlt.
Andohr hielt sich mit oft geübten leichten Bewegungen und wartete. Als sich seine Augen an die Dunkelheit der nächtlichen Wassertiefe gewöhnt hatten, entdeckte er den glatten Unterleib des „Schlingers". Sorgfältig zielte er mit der Spitze des Lanzenschwertes auf die Stelle unterhalb des Kehlsackes - dann schnellte er sich nach oben.
Er wurde aus dem Wasser geschleudert, als sich das Untier vor Schmerz und blinder Wut wand. Aber eisern hielt er seine Waffe fest. Wieder und wieder klatschte er auf die Wasseroberfläche. Oft genug geriet der peitschende Schweif des Schlingers in bedrohliche Nähe.
Dann war der Kampf vorüber. Blut färbte das Wasser. Der Kadaver des Räubers trieb stromab. Bald würden ihn die Artgenossen verschlingen.
Andohr aber wandte sich erneut der Geisterklippe zu.
Wenig später türmte sich die zackige Klippe riesengroß vor ihm auf. Andohr zog sich an den von Gischt benetzten Steinen empor.
Dann lag er außerhalb der strudelnden Flut und rang nach Atem.
Seine Augen waren starr auf den schwarzen Fels gerichtet.
Schrunde und Höhlen schienen in dieser unheimlichen Nacht zu den Öffnungen eines Totenschädels zu werden. Eine stumme Drohung ging von ihnen aus.
Nach einiger Zeit, als sich Andohr von der Anstrengung der Flußüberquerung erholt hatte, richtete er sich auf und begann nach einem Aufstieg zu suchen.
Die dunklen Wolken, die plötzlich den Himmel überzogen, schnitten das Licht der Sterne ab. Kaum vermochte Andohr noch die Hand vor den Augen zu sehen. Der Wind erstarb. Drückende Schwüle senkte sich wie ein feuchtwarmes Tuch hernieder.
Wahrscheinlich
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