0254 - Die Geistersonne
Luft füllen.
Gleichzeitig spürte er, daß er von einer Strömung vorwärts gerissen wurde. Doch er besaß nicht die Kraft, sich dagegen zu wehren. So hielt er sich nur mit sparsamen Bewegungen an der Oberfläche und ließ sich treiben. Sein Lanzenschwert hatte er verloren, er ging gleichgültig darüber hinweg. Irgendwie wußte er, daß er in dieser Phase nichts damit hätte ausrichten können.
Er spürte es sofort, als die Strömung schwächer wurde. Kurze Zeit darauf stießen seine Knie gegen Grund. Andohr richtete sich auf und versuchte sich zu orientieren. Ein eigenartig grünliches Dämmerlicht lag über dem Wasser. Seine Quelle war nicht erkennbar. Es schien aus sich heraus zu strahlen. Andohr genügte es, daß er nicht mehr in völliger Dunkelheit suchten mußte.
Suchen ...?
Was suchte er eigentlich?
Im nächsten Augenblick war der Gedanke wieder vergessen, erloschen wie eine Kerzenflamme im Wasser. Andohr hob und senkte mechanisch die Beine und näherte sich dabei dem Ufer.
Bleich wie ein Leichentuch lag der Strand vor ihm. Sanft stieg er an und verschwand irgendwo dort, wo das Dämmerlicht nicht mehr hinreichte. Andohr schritt schwankend aus dem stillen, ölig daliegenden Wasser. Seine Füße hinterließen tief eingedrückte Spuren. Es waren die einzigen Zeugen, daß je ein lebendes Wesen diesen Strand betreten hatte.
Die einzigen ...?
Andohr blieb stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer geprallt. Seine Augen weiteten sich. Etwa zwanzig Schritte vor ihm, von der grünlichen Dämmerung mehr verborgen als sichtbar gemacht, lag ein bleiches längliches Etwas. Andohr wußte nicht, warum ihm bei diesem Anblick kalte und heiße Schauer den Rücken hinabliefen.
Er vermochte nicht zu sehen, was dort lag. Dennoch kroch kreatürliche Angst aus seinem Unterbewußtsein, lähmte sein Handeln und trübte seinen Blick.
Nur allmählich wich die Starre von ihm.
Er hastete vorwärts, danach fiebernd, sich Gewißheit zu verschaffen.
Und dann kniete er vor einem blanken Skelett. Seine Blicke huschten über die sechsgliedrigen Füße, das wuchtige Becken, die tonnenförmig gewölbten Brustplatten und die weit ausladenden Schlüsselbeine, glitten zu den sechsgliedrigen Händen und danach zu dem runden Schädel. Nirgends war ein Hinweis auf die Todesursache zu erkennen.
Verwundert fragte sich Andohr, weshalb er so sehr nach Anzeichen eines gewaltsamen Todes suchte. Schließlich konnte der andere auf ganz natürliche Weise gestorben sein. Seufzend erhob er sich und warf noch einen langen Blick auf das Skelett.
Jäh stutzte er und beugte sich herab. Behutsam schob er die rechte Hand des Toten beiseite und krampfte die eigenen Finger um den scharfkantigen Stein, der die Farbe der grünlichen Dämmerung eigenartig klar widerspiegelte ...
Als er sich wieder aufrichtete, hatte er eine seltsame Vision.
Wallende Nebel zogen durch die gewaltige Grotte, verhüllten Strand und Wasser und Dämmerung. Aus der formlosen, wogenden weißlichen Masse bildeten sich Konturen. Gebeugte Ungeheuer mit zottigem Fell stapften herüber und hinüber, schlangengleiche Gebilde wanden sich zuckend auf dem Boden, und von oben schimmerte mattes Licht wie von phosphoreszierender Fäulnis.
Wenige Atemzüge später verschwand die Vision.
Nur der bleiche Strand, das ölige Wasser und das glatte Skelett blieben, beleuchtet von grünem Dämmerschein, als wäre es niemals anders gewesen.
Aber Andohr begann zu ahnen, daß die Vision ein Blick auf die Wahrheit gewesen war, eine Wahrheit, die er ergründen wollte.
Er preßte den Stein in seiner Faust und setzte den Weg ins Ungewisse fort ...
Baar Lun klappte das Stativ der Waffe heraus und preßte den Rahmenkolben fest gegen die Schulter.
Neben ihm warfen sich einige Paddler zu Boden. Auch sie machten ihre Flammstrahler schußfertig. Der Modul spähte durch die Zieloptik. Im Fadenkreuz erschien die leicht nach vorn geneigte, massige Gestalt eines Botas und verschwand wieder.
Der Dschungelvorhang bewegte sich. Feuchtigkeit stieg dampfend aus dem Boden und verhüllte für Augenblicke die Sicht auf den Dschungel und die verschrammte Geschützkuppel. Ein leichter Wind trieb den Dunstvorhang auseinander.
Nur sekundenlang dachte Baar Lun an den Mausbiber. Gucky hatte immer noch keinen gedanklichen Kontakt mit dem Großadministrator bekommen. Vorher aber wollte man nicht mit der Offensive beginnen. Nun saß der Mausbiber einsam im Direktorium von OL-hilfreich und esperte. Baar Lun jedoch
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