0254 - Treffpunkt Leichenhaus
Wagen umwehte.
Im Schrittempo kamen wir voran. Ein Schild erschien am Wegrand.
Lesen konnten wir nichts, da es von einer dicken weißen Schicht bedeckt war.
»Da ist das Lager.« Myxin deutete nach rechts, wo sich auf dem freien Feld die Umrisse einiger Wohnwagen abzeichneten. Auch ein offenes Feuer brannte, Qualm stieg in den Himmel, und Rauch drang auch aus den schmalen Schornsteinen der Wagen.
Menschen sahen wir nicht.
Es gab einen Weg zum Lager. Zwei Fahrspuren führten von der Straße aus auf das Feld. Da der Neuschnee sie fast zugedeckt hatte, waren sie gerade noch zu erkennen.
Ich lenkte den Wagen hinein. Auf unebenem Boden näherten wir uns dem Lager.
Jetzt sahen wir die ersten Menschen. Bei einigen Wohnwagen öffneten sich die Türen. Männer erschienen. Sie blieben auf den Trittleitern vor den Türen stehen und nahmen dabei lauernde Haltungen ein.
Ich fuhr so weit, bis ich die ersten Wohnwagen erreicht hatte. Sie hatten einen Halbkreis gebildet. In dessen Mitte loderte das Feuer.
Die Flammen stiegen aus einer großen Tonne, wobei die Hitze den Schnee um die Tonne herum weggetaut hatte.
Der Fuhrpark der Zigeuner stand hinter den Wohnwagen. Wenn ich durch die Lücke zwischen den Wagen schaute, sah ich die langen Schnauzen der Fahrzeuge.
Als wir ausstiegen, empfing uns das Schweigen. Es wirkte wie eine Starre, die über dem Platz lag. Wenn es geschneit hat, ist die Welt sowieso schon ruhiger. Hinzu kam noch, daß niemand ein Wort redete. Fünf Männer schauten uns starr an.
Es waren Zigeuner. Das erkannten wir allein an ihrem Aussehen.
Jeder hatte dunkle Haare, sie sahen wild und irgendwie verwegen aus. Waffen konnten wir nicht entdecken.
Das Zuklappen der Türen war das einzige Geräusch in der herrschenden Stille.
Ich wollte es unterbrechen, als ich eine Frauenstimme vernahm. »Wer ist dort angekommen?«
Ich drehte mich halb nach rechts, denn die Stimme war in dem Wagen aufgeklungen, der dort stand und mir irgendwie größer als die anderen vorkam. Ein breitschultriger Mann machte den Eingang frei, und eine alte Frau erschien.
Vor Jahren habe ich mal die Operette »Der Zigeunerbaron« gesehen.
Wie eine Figur aus diesem Musikstück kam mir diese Frau vor. Sie war steinalt, ging gebückt. Ein dunkelrotes Tuch bedeckte ihren Kopf.
Darunter sah das Gesicht aus wie eine lederne aus zahlreichen Falten bestehende Maske. Die Alte trug einen dunklen Umhang, der bis über die Hüfte reichte. Das lange schwarze Kleid fiel bis auf die Füße.
Scharfe Augen musterten uns, und schmale Lippen öffneten sich zu einer Frage: »Was wollt ihr hier?«
»Sind Sie die Führerin der Gruppe?« erkundigte ich mich.
»Ja, ich bin Azucena.« Sie sprach zwar Englisch, doch mit einer starken Färbung unterlegt. Ich tippte bei dieser Aussprache auf ein südeuropäisches Land.
»Kann ich Sie sprechen?«
Azucena bewegte ihren Arm und stützte sich am Türrahmen ab.
»Worum geht es? Wir haben uns nichts zu Schulden kommen lassen. Außerdem besitzen wir eine Genehmigung, hier überwintern zu dürfen.«
»Darum geht es auch nicht.«
»Wer sind Sie überhaupt?«
»Ich werde es Ihnen sagen«, erwiderte ich freundlich, griff in die Tasche und holte meinen Ausweis hervor.
Die alte Zigeunerin zuckte zusammen, dann gab sie dem jungen Mann, der in ihrer Nähe stand, einen Wink. »Schau nach, Tassilo!«
Der Zigeuner bewegte sich. Seine Schritte waren geschmeidig. Er hatte breite Schultern und trug trotz der Kälte nur ein ledernes Hemd.
Seine Beine steckten in Jeans. Die Augen erinnerten an dunkle Kohlestücke, die Nase stach aus dem Gesicht hervor wie der Schnabel eines Adlers. Als er seine Hand ausstreckte, um nach dem Ausweis zu greifen, sah ich die Tätowierung auf dem Rücken.
Sie zeigte drei Köpfe, die aus einem Hals stachen.
Ich hielt die Hand fest. »Ist das Ambiastro?« fragte ich so leise, daß nur er und Myxin mich verstehen konnte.
Er zuckte zusammen, öffnete ein wenig den Mund und saugte scharf die Luft ein.
Diese Geste war mir Antwort genug. Ich ließ sein Gelenk los und gab ihm meinen Ausweis.
Er schaute ihn sich an. Auf seinem Gesicht malte sich Staunen ab. Es war auch noch nicht verschwunden, als er sich umdrehte und die alte Azucena anschaute.
»Er ist von der Polizei. Scotland Yard.«
Die Alte nickte, bevor sie antwortete. »So etwas Ähnliches dachte ich mir bereits, aber ich kann nur wiederholen, daß wir uns nichts haben zu Schulden kommen lassen.«
»Ich möchte trotzdem mit Ihnen
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