0255 - Als die Pflanzen Rache nahmen
den Blumenkästen herabhingen, mußte die Berührung verursacht haben.
Erleichtert atmete Nicole durch. Blumenranken! Und davor fürchtete sie sich? Sie lachte leise.
Ein Windzug, vielleicht von ihrer eigenen Bewegung hervorgerufen, war an der Berührung schuld!
Das war alles…
Von unten kam Zamorra wieder herauf. »Was war los?«
Nicole erzählte es ihm. Zamorra warf einen nachdenklichen Blick auf die Ranke. »Darf ich mal deinen Nacken sehen?« fragte er mißtrauisch.
»Bitte!« Nicole drehte sich. Zamorra strahlte die Stelle mit der Lampe an. Aber da war nichts.
»Kein Vampirbiß«, sagte Nicole. »Blumen sind harmlos.«
»Von den fleischfressenden mal abgesehen«, brummte Zamorra. »Unten ist auch nichts. Ein ganz normaler Keller. Die Räume sind eingerichtet, aber die Weinflaschen hat man sorgfältig entfernt. Auch die Kartoffeln. Ein seltsames Haus.«
Nicole tänzelte zu einer Tür und stieß sie auf.
Zamorra sah an ihr vorbei in das Zimmer. Es war hell erleuchtet! Und an der Wand…
Ein riesiges Bild, über drei Meter hoch! Es berührte den Fußboden wie die Zimmerdecke! Und es zeigte ein seltsames Motiv.
War das ein Alraunenmädchen? Halb Pflanze, halb Mensch? Nein, eigentlich nicht… so dargestellt hatte Zamorra eine Alraune noch nie gesehen. Das hier war etwas anderes.
»Fantastisch«, flüsterte Nicole. »Was mag das bedeuten?«
Zamorra blieb vor dem Bild stehen. Kaum nahm er die große Fensterfront wahr, durch die das Morgenlicht ungehindert hereinströmte. Fenster einer Größe, die im krassen Gegensatz zu den anderen Lichtöffnungen standen!
Das Bild schien zu leben. Das Mädchen, dessen Körper von Blättern und Blüten bedeckt war und von dessen Füßen Luftwurzeln ausgingen, schien sich in den Sonnenstrahlen zu drehen und zu bewegen, und es schien den beiden Betrachtern etwas zuzuflüstern.
Aber kein Laut wurde hörbar.
Zamorra streckte die Hand aus, berührte das Bild. »Leinwand«, sagte er leise. »Ölgemälde. Aber so… so unglaublich…«
Er fragte sich, wieso er im ersten Moment an eine Alraune hatte denken müssen. Hier gab es nichts, aber auch gar nichts alraunenhaftes. Im Gegenteil! Eine Orchidee, ein Blumenmädchen. Alles war ein riesiges Blütenmeer, selbst das Haar bestand aus Blumen.
Die Augen…
Sie waren schwarz! Schwarz wie das Universum und ohne Pupillen. In dem Moment, als Zamorra in sie blickte, glaubte er in die Ewigkeit zu stürzen.
»He!« schrie Nicole. Sie rüttelte ihn. »He, aufwachen!«
Zamorra riß sich mit aller Gewalt aus dem schwarzen Abgrund zurück. Er wandte den Blick ab und schüttelte sich.
»Was war denn das?« stieß er betroffen hervor. »Eine magische Falle?«
Aber er spürte nichts.
Das Amulett hätte ihm vielleicht etwas verraten können. Aber so…
»Komm«, sagte er. »Wir fahren zum Cottage. Ich werde versuchen, eine Reihe von Dingen zusammenzustellen, die wir benötigen können. Heute abend kommen wir zurück und sehen, was wir tun können.«
Kurz darauf surrte der Jaguar wieder davon.
Ein nachtschwarzes Augenpaar, das Wände durchdrang, sah dem davonfahrenden Wagen nach, und lautlose Gedanken durchzogen das Innere des leeren Herrenhauses. Doch niemand war da, der diese Gedanken zu verstehen vermochte.
***
Nicole fragte sich, woher Zamorra die Energie nahm, die ihn antrieb. Die schlaflose Nacht machte sich bei ihr stark bemerkbar, und nichts konnte sie hindern, sich in das Schlafzimmer zurückzuziehen und in Morpheus Arme zu sinken.
Zamorra dagegen blieb aktiv.
Er setzte sich zu Stephan Möbius an den Frühstückstisch, unterhielt sich kurz mit ihm über die Tagesneuigkeiten und zog sich dann in seinen Arbeitsraum zurück. Dort begann er Bücher zu wälzen.
Beaminster Cottage hatte ihm auch früher schon hin und wieder zur Verfügung gestanden, und weil das eine Dauereinrichtung hatte werden sollen, entstand auch hier allmählich eine kleine Bibliothek des Okkulten, wenngleich die auch noch äußerst mager war. Mehr als fünfzehn, zwanzig Werke standen hier noch nicht im Regal.
Zamorra stellte eine Liste auf.
Später telefonierte er mit der Polizeiwache in Lyme Regis und mit dem Krankenhaus. Laury Garricks Zustand war und blieb unverändert. Die Untersuchung des schrottreifen Cortina erbrachte nichts, und Leutnant Spencer hatte längst Feierabend, oder besser Feiermorgen. »Mister Spencer ist heute abend ab einundzwanzig Uhr wieder zu erreichen«, wurde Zamorra mitgeteilt.
Er ließ sich die private Telefonnummer
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