0255 - Die Gefangene der Teufelsinsel
Körper, aber nicht nur sie, auch die Haut war dabei, allmählich abzufallen. Von seinen Händen existierten nur noch Knochen. Er versuchte, sich am Rahmen festzuhalten, rutschte jedoch ab und brach in die Knie.
Mit letzter Kraft öffnete er den Mund und stieß uns die schrecklichen Worte entgegen: »Der Nebel, der Todesnebel. Er zerfrißt…Er tötet…Alle…!« Für uns stand eins fest.
Lady X hatte grausam zugeschlagen!
***
Der Mann sank zusammen. Ich brauchte nicht erst näher hinzuschauen, denn er war tot.
Blitzschnell war ich bei ihm, drückte die Tür so weit auf, daß ich ihn nach draußen schieben konnte, und riskierte selbst noch einen Blick.
Schwaden wallten durch das Lager. Eine dicke Brühe lag zwischen den Wagen, und ich sah die Gestalten umherrennen. Voller Panik, hilflos, wobei gräßliche Schreie über ihre Lippen drangen.
Ich hämmerte die Tür wieder zu. Als ich mich umdrehte und mich mit dem Rücken gegen sie lehnte, war ich blaß.
»Hat er recht?« fragte Suko.
Ich nickte.
Sprechen konnte ich in diesen Augenblicken nicht. Alles war zu grausam und schrecklich. Bisher hatte sich Lady X zurückgehalten, doch nun schlug sie eiskalt zurück. Sie wollte die Menschen, die ihre Feinde geschützt hatten, vernichten.
In mir tobte eine Hölle aus Erinnerungen. Mein Gott, wenn ich an den Nebel nur dachte, bekam ich das Zittern. Deutlich sah ich ihn noch vor mir, als er damals wie eine stumme, drohende und tödliche Wolke vor der Küste gelegen hatte und allmählich näher kam, um sein grausames Werk zu vollenden. [2]
Der Todesnebel war nicht zu stoppen. Nicht auf normale Art und Weise, wobei es eigentlich nur etwas gab, das ihn aufhalten konnte.
Mein Kreuz!
Ich erinnerte mich auch an den Flug in die Todeswolke, als der Nebel die Passagiere eines Flugzeugs getötet hatte. Ich hatte mich damals unter den Menschen befunden, und mir war es dann mit Hilfe des Kreuzes gelungen, ihn zu stoppen.
Doch es hatte Opfer gegeben, und es gab und würde wieder Opfer geben, denn innerhalb des Lagers konnte sich der Nebel ausbreiten.
Nichts hinderte ihn daran.
Myxin war an eines der Fenster getreten und warf einen Blick nach draußen. Auch Suko schaute durch eine Scheibe. Er drehte sich zuerst um. Besorgnis stand auf seinem Gesicht zu lesen.
»Es wird schwer werden«, flüsterte ich.
Da richtete sich Azucena auf. Sie blieb sitzen, und ich hatte das Gefühl, als würde sie den Schreien lauschen. »Ich trage die Schuld«, flüsterte sie, »ich allein…« Sie streckte den Arm nach Ecco aus. »Hilf mir hoch, denn ich werde mich opfern!«
Ecco war unschlüssig. Er schaute einmal mich, dann wieder Suko an und hob die Schultern.
»Der Nebel konzentriert sich mehr auf unseren Wagen«, erklärte Myxin.
»Sie will erst einmal uns vernichten.« Damit meinte er natürlich Lady X, die hinter allem steckte.
»Hoffentlich ist es so«, murmelte ich, wobei ich bei Ecco auf Widerstand stieß.
»Ist Ihr Leben Ihnen nichts wert?« fragte er.
Ich holte das Kreuz hervor. »Das ist mein Schutz!«
Der Mann schaute auf meine Hand, aus der das Kreuz ragte. Seine Blicke irrten, der Mund zuckte, und er hob die Schultern, als wollte er es nicht glauben.
Auch Azucena war skeptisch. Sie schwang ihre Beine von der Couch.
»Ich werde trotzdem gehen«, sagte sie mit leiser Stimme. »Es kann mich keiner abhalten. Ich muß mich opfern. Ich habe ihn doch gesehen, wie er zur Tür hereinkam. Sollen noch mehr Unschuldige sterben?«
»Glauben Sie denn im Ernst, daß unsere Gegner nachlassen, wenn Sie sich geopfert haben?« fuhr ich sie an. »Nein, Lady X will ein Ende machen. Deshalb hat sie den Todesnebel eingesetzt, und sie schließt keine Kompromisse.«
Meine Worte machten die alte Frau nachdenklich, denn sie schwieg in den nächsten Sekunden.
Myxin zog sich vom Fenster zurück. »Der Nebel befindet sich dicht am Wagen. Er wird auch eindringen können, wenn es Stellen gibt, die nicht ganz dicht sind.«
Ecco lachte bitter. »Die gibt es leider genug. Wir haben keine Chance, wir…«
»Gehen Sie in den hinteren Teil des Wagens!« fuhr ich ihn an. »Und nehmen Sie Azucena mit.«
»Gut, auf Ihre Verantwortung.«
Ich kümmerte mich nicht mehr um die beiden, sondern bewegte mich auf das Fenster zu. Mit der Hand, in der ich auch das Kreuz hielt, strich ich am Rahmen entlang.
Deutlich merkte ich den Windzug, der über meine Handfläche fuhr. Da gab es undichte Stellen, das stand fest.
Wann würde der Nebel kommen?
Suko, der meine
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