0255 - Die Gefangene der Teufelsinsel
Gedanken ahnte, brachte eine kleine Lampe, die eine zum Glück lange Schnur besaß. Er leuchtete damit vor dem Fenster hin und her und hatte die Lampe kaum ein paarmal bewegt, als wir beide es sahen.
Durch die Ritzen krochen graue Schwaden.
Der Todesnebel war da!
***
Marita starrte auf das Monstrum.
Es war ein unwahrscheinlicher Anblick. So grauenhaft, daß sie das Gefühl hatte, jemand würde ihr Herz mit eisernen Händen umfassen und es zusammendrücken.
Ein Meerdrache entstieg den Fluten.
Gewaltig die beiden grünlich schimmernden Flügel. Dazwischen ein schrecklicher Kopf, der an den Schädel eines Pferdes erinnerte, nur eben drei bis viermal so groß. Der breite Hals war gebogen. Auf ihm wuchs ein spitzer, grünschuppiger Kamm, von dem zahlreiche Wassertropfen geschleudert wurden, als der Drache seinen Kopf bewegte und Marita die rötlichen Augen erkennen konnte.
Sie wußte nicht, wie das Tier hieß. Für sie war es ein mordgieriger Gigant, der sicherlich nicht nur Tiere, sondern auch noch Menschen verschlang.
Ihr war ebenfalls nicht bekannt, woher dieser schwimmende Drache stammte. Als man sie zur Insel geschafft hatte, war der Begriff Atlantis gefallen. Auch sie hatte bereits von dem Kontinent gehört. Konnte es möglich sein, daß der Drache ein Überbleibsel war?
Marita zitterte vor Furcht.
Das Untier, vorhin aus den Fluten entstiegen, hatte sich durch seine Flügelschläge weiterbewegt. Es war ihm gelungen, in die flacheren Uferregionen zu gelangen. Nur noch ein kleiner Teil seiner unteren Körperhälfte wurde von den Wellen umspült, und der Drache bewegte sich mit seltsamen Bewegungen voran.
Er hüpfte mehr und erinnerte Marita in diesen Augenblicken an einen überdimensionalen Vogel, der seine Beute bereits ins Visier genommen hatte, um sie später zu verschlingen.
Auch öffnete er sein Maul.
Marita, die den Drachen starr anschaute, rechnete damit, Feuer aus dem Schlund fahren zu sehen. Sie irrte sich. Nur die Zunge zuckte wie eine rote Peitsche durch die Luft, schlug einmal einen Bogen und klatschte in den Sand.
Er wurde hochgewirbelt und so weit geschleudert, daß er das Mädchen mit einem wahren Regen übergoß.
Ein Fauchen drang hinterher. Es war vermischt mit einem brüllenden Geräusch, und sein Donner klang in Maritas Ohren wie eine Explosion.
Der Drache erreichte das Ufer.
Er stampfte. Die Masse seines Körpers ließ den Boden erzittern. Selbst der Baum, an den Marita gefesselt war, spürte die Erschütterungen, und sie selbst wand sich verzweifelt, wobei sie wieder an ihren Ketten zerrte, um sich zu befreien, doch das Eisen war gut geschmiedet und hielt.
Marita schloß die Augen. Sie konnte plötzlich nicht mehr mit ansehen, wie sich der Tod in Form dieses Monstrums näherte. Es brauchte nur einmal mit der Zunge zuzuschlagen und richtig zu treffen, dann war alles erledigt.
Kaum war der Gedanke in ihrem Gehirn aufgezuckt, als der Drache ihn bereits in die Tat umsetzte.
Er schlug zu.
Ein huschendes Etwas sah Marita auf sich zukommen. Es war schnell wie der Blitz. Sie wollte schreien. Es nutzte nichts, denn bevor sie noch einen Ton ausstoßen konnte, hatte die Zunge sie erwischt.
Nicht am Kopf, nicht am Oberkörper, sondern in Höhe der Waden.
Gedankenschnell hatte sie die Beine der Gefesselten umwickelt und riß sie in die Höhe.
Marita konnte den Schrei nicht mehr unterdrücken, als sie plötzlich den Boden unter ihren Füßen verlor. Für einen Moment, der ihr jedoch ungemein lang vorkam, schwebte sie in der Luft, hielt sich in einer waagerechten Stellung, drehte den Kopf und sah das gefährliche und geöffnete Drachenmaul dicht vor sich.
Es war ein mörderischer Schlund, der ihr da entgegengähnte, wobei sie das Gefühl hatte, daß er alles in sich hinein saugen konnte, selbst den Baum.
Urplötzlich ließ der Drache sie los.
Hart fiel sie wieder zurück. Ihre gefesselten Füße schlugen auf den Boden. Der Aufprall pflanzte sich bis in ihr Gehirn fort, und sie biß die Zähne zusammen, um nicht zu schreien.
Aus dem Maul des Monstrums drang heißer Atem. Wie Feuer wühlte er ihr entgegen und brannte auf der Haut. Sie hatte das Gefühl, in Flammen zu stehen, riß die Augen auf, nur sehen konnte sie nichts, denn das Untier hatte Wolken von Sand in die Höhe gewirbelt, die sie wie ein Schleier umgaben.
Das gefangene Zigeuner-Mädchen glaubte wirklich an sein letztes Stündlein. Es wünschte sich eine Ohnmacht herbei, weil es das Grauen nicht bei vollem Bewußtsein
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