026 - Das Totenhaus der Lady Florence
kaum hin, da sich
seine Gedanken anderweitig beschäftigten.
Der Sprecher erwähnte etwas von einer bevorstehenden Reise von Königin
Elisabeth, neuen Sorgen im Commonwealth und Englands Bemühungen um einen
Beitritt in die EG. Der Smog hatte in London in diesem Frühling schon wieder
dreißig Todesopfer gefordert. Paul Salking, der entsprungene Mörder, der vor
wenigen Tagen aus dem Zuchthaus in Dartmoor entkommen konnte, war noch immer
nicht gefasst worden. Die Polizei warnte vor ihm. Salking war gemeingefährlich
und tötete rücksichtslos.
Gegen fünfzehn Uhr traf Raunsley in Plymouth ein.
Kaum hatte er sein Büro betreten, kam aus dem Nebenzimmer sein Sohn und
Teilhaber.
Gene Raunsley war achtundzwanzig Jahre alt. Sein Gesicht hatte ein
wächsernes Aussehen. Es war die Farbe eines Menschen, der viel im Zimmer hockte
und kaum an die frische Luft kam. Sein schütteres, dunkelblondes Haar trug er
streng gescheitelt und wirkte dadurch etwas älter, als er wirklich war.
»Das Haus von Lady Florence ist vermietet«, sagte Raunsley gleich zu seinem
Sohn, und er rieb sich die Hände. »Die Fahrt dorthin hat sich gelohnt. Ich bin
froh, dass wir Mister Henderson, dem Anwalt, endlich diesen Abschluss melden
können.«
Wortlos sah sich Gene Raunsley die Unterlagen an. Dann meinte er, ohne
seinen Vater dabei anzusehen: »Er hat sich nicht an dem hohen Mietpreis
gestört?«
»Nein.« Raunsley schüttelte den Kopf.
»Er weiß etwas, Vater.«
Der Makler sah erschreckt auf. »Unsinn, Gene«, stieß er dann hervor. »Wie
sollte er? Und überhaupt: Du weißt, dass ich von dem Gerede nichts halte. Was
dir da zu Ohren gekommen ist, ist mehr als Unfug. Du denkst wie ein Kind,
Gene!«
»Auch Heinrich Schliemann dachte wie ein Kind. Er glaubte an das, was man
ihm vorlas. Und er fand Troja, die sagenhafte Stadt.« Gene Raunsleys Augen
begannen zu leuchten. »Wenn wirklich stimmt, was man sich über das
Dodgenkeem-Haus erzählt, dann ist der Mann, der sich Burling nennt, nur
gekommen, um es zu suchen ...«
Raunsley schluckte. »Du jagst einem Hirngespinst nach, Gene! Es gibt
nichts!«
»Die beiden Toten, Vater«, erwiderte der junge Raunsley trocken, ohne auf
die Bemerkung seines Vaters einzugehen. »Warum starben Dr. Brunk und der
Pfarrer von Bideford?«
»Fängst du schon wieder davon an! Herzschlag, du weißt es doch.«
»Ein merkwürdiger Zufall, beide am selben Tag, unmittelbar nach der
Beisetzung von Lady Florence.« Gene Raunsleys Stimme veränderte sich auf
unangenehme Weise. Sie klang spitz und schrill.
»Die offizielle Untersuchungskommission fand daran nichts Merkwürdiges,
Gene. Wie viele Menschen sterben zeitgleich an einem Versagen des Herzens in
der ganzen Welt. Hier ereignet es sich in ein und derselben Stadt. Ich kenne
einen Fall, der sich unglaubwürdig anhört – aber es ist die reine Wahrheit. Es
geschah hier in Bristol, vor zwei oder drei Jahren. Ein älteres Ehepaar ging
abends gemeinsam zu Bett. Am nächsten Morgen waren beide tot. Nachts, während
sie schliefen, setzten ihre Herzen aus.«
»Das ist etwas anderes, Vater.«
»Es ist das gleiche, Gene!«
Der junge Raunsley trat ans Fenster und starrte hinab auf die graue,
regenfeuchte Straße. Wie im Krampf hielt er die Mappe umfasst, in die er das
Vertragsformular über die Vermietung des Hauses der Lady Florence gelegt hatte.
Sein Vater sah die Dinge nicht richtig. Er wusste mehr! Es war verdächtig,
wenn ein Fremder kam, mehr als das Doppelte eines ursprünglichen Mietpreises
zahlte, nur um allein zu sein!
Gene Raunsley wandte sich ab. »Ich werde die Akte bearbeiten«, sagte er,
während er die Mappe in der Hand schwenkte. »Und ...«
Er wurde unterbrochen. Das Telefon in seinem Büro klingelte. Ohne den
begonnenen Satz fortzusetzen, ging der junge Raunsley hinüber.
Wenige Minuten später kam es Raunsley in den Sinn, mit seinem Sohn doch
noch einmal diese mysteriöse Angelegenheit zu erörtern. Zu diesem Zweck suchte
er das angrenzende Büro seines Sohnes auf.
»Gene, ich ...« Das Büro war leer. Von Gene Raunsley fehlte jede Spur.
●
In Bideford hatte er sich das Notwendigste besorgt. Richard Burling, der
Kriminalautor, pfiff vergnügt vor sich hin, während er die Wurst, das frische
Fleisch und vor allen Dingen zahlreiche Konserven in dem geräumigen Kühlschrank
verstaute.
Das Einräumen dauerte nicht länger als eine Viertelstunde. Richard Burling
hatte sich selbst Brotscheiben in Dosen mitgebracht, um während der
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