0262 - Leonardos Knochenhorde
sonderbar, hatten sich daraufhin verbittert fast völlig zurückgezogen und überließen Michel und seiner Schwester Haus, Garten und Acker. Michel begriff das nicht. Er war der Ansicht, daß man nicht aufhören durfte, gegen den Höllenbästard zu kämpfen. Koste es, was es wolle. Wer sich zurückzog und auf Zamorras Hilfe hoffte, der lebte verkehrt.
Er stellte das Gewehr zur Seite. Silvie trat zum Fenster, um hinauszusehen.
Da zerplatzte die Scheibe!
Da flogen die Splitter nach innen! Dem Krachen und Klirren folgte das Scheppern und Hallen von Metall, das Knacken und Knirschen von Knochen. Holz barst, als sich eine hünenhafte, gepanzerte Gestalt durch das Fenster in die Stube schwang.
Silvie schrie gellend auf.
Michels Augen weiteten sich. »Ein Skelettmann!« brüllte er überrascht. Seine Hand krallte sich wieder um das Gewehr. Obgleich er genau wußte, daß den Untoten mit normalen Kugeln nicht beizukommen war, wirbelte er die schwere Waffe in den Händen herum und schoß aus der Hüfte.
Die beiden Schüsse krachten fast gleichzeitig. Die Kugeln klatschten gegen das Metall der Rüstung und schlugen sich daran platt. Silvie wurde von einem Fausthieb des Knochenmannes zurückgeschleudert. Sie schrie, prallte gegen den Wohnzimmertisch und riß ihn mit sich zu Boden.
In diesem Moment wurde Michel klar, daß er Leonardos Krieger unterschätzt hatte. Sie hatten ihn nur in dem Glauben gelassen, nicht beobachtet zu werden! Aber zumindest dieser eine war ihm gefolgt und wollte ihn jetzt für die Schüsse auf den verdammten Wolf zur Rechenschaft ziehen!
Michel Lasalle benutzte das leergeschossene Gewehr als Schlaginstrument. Er zielte nach dem Schädel des Knochenmannes und versuchte ihn vom Rumpf zu schlagen. Aber der Untote wich geschickt aus. In einer gleitenden Bewegung zog er sein rostiges und schartiges Schwert, das wahrscheinlich einst schon zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges im wahrsten Sinne des Wortes zum alten Eisen gezählt hatte. Die Klinge traf den stählernen Gewehrlauf. Normalerweise hätte das verrottete Schwert zersplittern müssen. Aber die Kraft der Hölle wirkte auch hier. Der Gewehrlauf wurde durchtrennt. Das vordere Ende flog durch die Luft, segelte haarscharf an Silvie vorbei und zerschmetterte die Verglasung eines Schrankes.
Michel brüllte eine Verwünschung und schlug wieder zu. Zwei Sekunden später war er tot. Triumphierend riß der Skelett-Krieger den abgetrennten Kopf des Mannes hoch. Dann stapfte er auf die völlig verstörte Silvie zu, deren Panikschreie nicht mehr aufhörten.
In der Tür erschien der Großvater. »Was soll der Lärm…?«
Er brach ab. Entsetzt sah er den toten Enkel, den Knochenmann, der vor Silvie stehenblieb und ausholte, dabei zu ihm herüberblickte, und da wußte der Großvater, daß er der nächste auf der Todesliste sein würde.
Das rostige, aber dennoch höllisch scharfe Schwert pfiff erneut durch die Luft.
***
»Halt!« schrie Monica Peters. »Diese Leute kennen den Weg, der mich zu Zamorra führen wird!«
Es war ein waghalsiger Bluff.
Monica hatte das Haus, aus dem der Kampflärm erscholl, gerade in diesem Augenblick erreicht, und sie hoffte, daß ihr spontaner Plan aufging. Wenn es eine ständige magische Verbindung zwischen Leonardo und seinen Kriegern gab… wenn auch dieser Krieger hier auf diese Weise von Monicas Mission wußte…
Er wußte!
Er stoppte mitten in der Bewegung, schneller als es jeder lebende Mensch vermocht hätte. Das Schwert hielt nur wenige Zentimeter vor dem Hals des verängstigten Mädchens an. Langsam drehte der Skelett-Krieger den Kopf.
Er schwieg.
Monica wußte, daß die Untoten sprechen konnten. Rasselnd und asthmatisch. Aber sie sprachen nur dann, wenn es unbedingt erforderlich war. Vielleicht kostete sie es Kraft, die sie nur ungern auf diese Weise verschwendeten.
»Du wirst diese Leute nicht töten«, wiederholte Monica streng. »Nur sie kennen den Weg zu Zamorra. Ich benötige ihr Wissen - das Wissen von Lebenden! Geh!«
Immer noch zögerte der Skelett-Krieger. Seine leeren Augenhöhlen waren auf die Telepathin gerichtet. Dann, ganz langsam, zog er das Schwert zurück, stieß es in die Lederscheide zurück und ging, die makabre Trophäe in der linken Knochenhand, auf die Tür zu.
Monica machte ihm Platz, ließ ihn vorbei. Kalt lief es ihr über den Rücken, als sie den Untoten mit dem abgeschlagenen Menschenschädel davonschreiten sah. Das Klirren der Rüstung verklang in der Abenddämmerung. Blutrot
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