0263 - Das gläserne Grauen
ihren Freund an.
»Ist was?« fragte Tom. Er zögerte noch damit, das erste Glas zu füllen.
»Nein, nein, nichts.« Sie lächelte etwas scheu.
»Doch, du hast was.«
Lilly setzte sich. Sie schaute ihren Freund an, und über den Tisch hinweg trafen sich ihre Blicke. Da sich der junge Polizist etwas vorgebeugt hatte und fast unter der Lampe saß, konnte das Mädchen sein Gesicht sehr deutlich sehen.
Es wirkte auf eine unbestimmte Art und Weise seltsam, sogar ein wenig abstoßend. Nicht der Ausdruck, sondern die Haut in seinem Gesicht. Sie hatte sich verändert, war vielleicht dünner geworden, als hätte sie jemand straffer gespannt.
Auch die Augen zeigten eine Veränderung. Das waren nicht mehr die Augen, die das Mädchen kannte, nein, so starr hatte ihr Freund sie noch nie angeschaut.
Komisch, dachte sie.
Tom Tiptree drehte die Flasche in seiner Hand und kippte die Öffnung dem Glas entgegen. Der Selbstgebrannte Schnaps gluckerte als dünnes Rinnsal aus dem Flaschenhals in das Wasserglas, und Lilly Tonev sagte plötzlich: »Ich habe mich übrigens mit der Polizei in Verbindung gesetzt.«
Eine explodierende Bombe hätte den Mann nicht schlimmer als diese Worte treffen können. Der rechte Arm des Polizisten, der die Flasche hielt, zuckte vor, und aus der Öffnung drang ein regelrechter Schwall, der natürlich nicht nur das Glas traf, sondern auch daneben auf die Decke floß und sie tränkte.
»Vorsicht!« rief das Mädchen viel zu spät und sprang auf.
Tom Tiptree stellte die Flasche aufrecht hin. Dann drückte er sich in die Höhe. »Was hast du da gesagt?« erkundigte er sich lauernd.
»Ich habe die Polizei angerufen!«
»Wen?«
»Einen Oberinspektor Sinclair. Ich traf ihn dort, wo du mich zurückgelassen hast. Da ist doch etwas passiert. Ich glaube, es war ein Mord. Ich habe die Leiche nicht gesehen, aber…« Sie verstummte, weil ihr Freund den Kopf schüttelte.
»Das war dumm von dir, Lilly.«
»Was? Der Anruf?«
»Genau der.«
Lillys Lächeln mißlang. »Ich weiß überhaupt nicht, weshalb du dich aufregst. Du bist doch selbst bei der Polizei. Sei froh, daß ich mir um dich Sorgen gemacht habe.«
»Das schon…«
»Dann verstehe ich dich wirklich nicht. Tut mir leid, Tom.«
Tiptree wiegte den Kopf. Er grinste dabei, schob die Gläser zur Seite und stand auf. Seine Hände stützte er auf die Tischplatte. Sein Blick bohrte sich in die Augen des Mädchens, das plötzlich ein gewisses Unbehagen fühlte.
Zudem hatte sie dieses Geräusch wieder vernommen, das seltsame Knirschen…
»Tom!« flüsterte sie. »Was ist mit dir alles geschehen? Du bist so anders, so komisch.«
»So? Bin ich das?«
»Ja, Tom.«
Er atmete tief ein. Wenigstens hörte sich das pfeifende Geräusch so an.
»Du hättest diesen Sinclair nicht anrufen sollen«, sagte er leise und griff in die Tasche.
»Weshalb nicht?«
»Weil ich es nicht haben will. Keine Polizei.« Er nahm die Hand aus der Tasche und hielt plötzlich einen seltsamen Glasstab zwischen den Fingern.
»Tom, was redest du denn da?« Lilly Tonev konnte die Veränderung ihres Freundes noch immer nicht begreifen.
»Jetzt ist es zu spät, Lilly. Es darf keine Spur auf dich hinweisen, soll es keine Zeugen geben, und deshalb muß ich dich leider umbringen, Mädchen…«
***
Ich war mit zum Hauptquartier gefahren. Rotlicht und Sirene hatten wir eingeschaltet. Wie der Polizeichef wußte auch ich, daß es auf jede Sekunde ankommen konnte.
In London lag eine Zeitbombe, die jeden Augenblick explodieren konnte.
Wie fast überall auf der Welt lief auch bei uns keine polizeiliche Arbeit mehr ohne Computer ab. Zwar war es abenteuerlicher, so zu arbeiten wie der gute alte Sherlock Holmes, aber die Computer waren doch effektiver.
Und sie hatten auch mir schon oft genug geholfen.
Tag und Nacht waren die Abteilungen besetzt. Der Polizeichef gehörte zu den wenigen Personen, die Zugang zu sämtlichen Daten besaßen, auch zu den Personalinformationen.
Die Beschreibungen der infrage kommenden Personen bekam er von mir geliefert. Zusammen mit dem Schichtleiter gaben wir sie ein. Ich war gespannt, ob diese Angaben ausreichten. Leider hatte ich mir die Nummer des Streifenwagens nicht merken können, dann wäre es leicht gewesen, diejenigen zu finden, denen der Wagen als Dienstfahrzeug zur Verfügung stand.
Der Computer tat sein Bestes. Auf dem Sichtschirm flimmerten Buchstaben. Sie setzten sich zu Namen zusammen und schrieben sie gleichzeitig auf Endlos-Papier.
Schon
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