0263 - Das gläserne Grauen
aus, bis auf die Beine. Ich wollte meinen Augen nicht trauen, als ich diese sah, denn sie bestanden nicht mehr aus Haut, sondern aus Glas und waren durchsichtig.
Kalt rann es meinen Rücken hinab. Die Männer hatten sich zum Teil verwandelt. Man konnte kaum fassen, daß es lebende Personen waren, und so etwas hatte ich noch nie gesehen.
Vielleicht hätte ich eine bessere Deckung suchen sollen, denn ich befürchtete, daß mich die beiden Polizisten zu früh sahen. Und ich wollte mich mit ihnen nicht auf einen Kampf einlassen, sie sollten mich zu ihrem Ziel führen.
Es wurde Zeit für mich, die Luft anzuhalten, damit mich der helle Atem nicht verriet.
Schon waren sie verdammt nah, vielleicht noch zwei, höchstens drei Schritte, und sie hatten mich passiert.
Sie kamen, waren auf gleicher Höhe…
Webster ging vorbei.
Bellamy folgte, ließ mein Versteck auch hinter sich, und ich wollte aufatmen, als er herumwirbelte, seine Hand aus der Tasche riß und einen schmalen Stab hervorholte.
Im nächsten Augenblick erlebte ich das Grauen…
***
Lilly stand da, als wäre sie zu Stein geworden. Ihr kleiner Mund wollte lächeln. Sie brachte es nicht fertig, denn sie hatte die Worte genau verstanden, obwohl sie sich gefreut hätte, wenn sie nicht stimmten, und sie hakte deshalb noch einmal nach.
»Was hast du gesagt?«
»Ich muß dich leider umbringen, Mädchen. Es gibt keine andere Möglichkeit. Unser Plan darf auf keinen Fall gefährdet werden, das mußt du einsehen.«
»Welcher Plan?«
»Es hilft nichts, wenn ich ihn dir verrate, Lilly. Das hat keinen Sinn. Sorry.« Er erhob sich, wobei der seltsame Stab in seiner rechten Hand auf Lilly wies.
Da schrillte das Telefon.
Beide wurden von diesem Geräusch überrascht. Lilly zuckte zusammen, drehte den Kopf und schielte zu dem schwarzlackierten Apparat hin, als wäre er der letzte rettende Strohhalm.
Auch Tom Tiptree wußte Bescheid. Seine Augen glänzten plötzlich wie lackiertes Glas, und sie strömten eine Gefahr aus. »Laß es bleiben«, flüsterte er scharf. »Laß es nur bleiben, Kind!«
Lilly wagte es trotzdem. Sie sprang vor, doch sie hatte Pech, denn ihr Fuß verhakte sich hinter dem Stuhlbein, so daß das Sitzmöbel umkippte.
Das Mädchen fiel zwar nicht zu Boden, hatte jedoch Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht und verlor Zeit.
Diese Sekundenbruchteile nutzte Tom Tiptree. Er brauchte drei Schritte, um den Apparat zu erreichen. Daneben blieb er stehen und legte demonstrativ seine Hand auf den Hörer.
Es schellte weiter, er aber schüttelte den Kopf und grinste dabei. »Nein«, sagte er in das Klingeln hinein. »Hier wird nicht abgehoben, mein Schatz.«
»Aber, Tom, ich…«
Das Klingeln hörte auf. Der Mann nahm seine Hand wieder zurück und nickte zufrieden. »So«, sagte er, »jetzt zu uns beiden. Du weißt, was ich dir versprochen habe…« Er schlich auf Lilly zu.
Sie stand da wie festgewachsen. Die Augen auf ihren Freund gerichtet, der seine seltsame Waffe in der Hand hielt, wobei das abgerundete Ende direkt auf Lilly Tonev wies.
Lilly wußte nicht, was dieser Stab bedeutete. Sie hatte instinktiv eine schreckliche Furcht davor. Es war eine ihr fremde Waffe, die eigentlich so harmlos aussah, und ihre Furcht wuchs so stark, daß sie anfing zu zittern.
»Deine Schuld«, sagte er. »Nur deine Schuld, Kindchen. Du hättest dich ruhig verhalten sollen…«
Er ging noch weiter. Langsam allerdings, und als er sein Bein bewegte, hörte Lilly das Knirschen des seltsamen Gelenks, das sich auf so schreckliche Art und Weise verändert hatte.
Da klopfte es gegen die Tür.
Hart, ziemlich fordernd. Lilly zuckte ebenso zusammen wie der Mann.
Hoffnung?
Lilly Tonev schielte zur Tür. Sie schluckte dabei, hörte ihr eigenes Herz überlaut pochen. Angst breitete sich in ihrem Körper aus, sie öffnete den Mund, um eine Frage zu stellen, doch Tom Tiptree ahnte es. »Halt dich ruhig!« zischte er.
Lilly schwieg tatsächlich. Sie war eben zu eingeschüchtert.
Tom aber reagierte. Er wußte, daß jemand Lilly sprechen wollte, und er war mit wenigen Schritten an der Tür. Es hatte keinen Sinn, den anderen warten zu lassen, er würde sicherlich Alarm schlagen, deshalb drückte er mit der freien Hand auf die Klinke und riß die Tür mit einem heftigen Ruck auf.
Im Hausmantel stand eine weitere Mieterin auf der Schwelle. Vielleicht zehn Jahre älter als Lilly, dunkelblond, mit kurzen Haaren und einem runden, leidlich hübschen Puppengesicht, das jetzt erstarrte,
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