0263 - Das gläserne Grauen
denn die Besucherin hatte sich so heftig erschreckt.
Tom kannte sie. Es war Marion Findley, eine Mieterin, die nebenan wohnte.
»Komm rein«, sagte er und stellte sich so hin, daß Marion Lilly nicht sehen konnte.
»Ich meine… ich habe das Telefon…«
Da griff der Mann zu. Seine Hand bekam die Schulter der Frau zu fassen, und mit einem Ruck schleuderte er sie an sich vorbei in das Zimmer hinein, bevor er die Tür schloß und diesmal die Sicherheitskette vorlegte.
Marion Findley konnte sich nicht mehr fangen. Tom Tiptree hatte zuviel Kraft in diese Aktion gelegt. Die Frau flog bis an den Tisch, prallte dagegen, so daß die Flasche mit dem Schnaps umkippte und der Selbstgebrannte auslief.
Sie fing sich schnell. Der Mantel hatte sich vorn geöffnet und lieferte Tom tiefe Einblicke auf eine helle Haut mit zwei strammen Halbkugeln.
Es war eine automatische Bewegung, mit der Marion den Bademantel wieder schloß, und ihr Gesicht lief dabei rot an.
»Sag mal«, zischte sie in einem breiten Sohoslang, denn in dem Stadtteil arbeitete sie in einem alten An- und Verkaufladen, »bist du eigentlich verrückt? Was soll der Mist?«
»Das werde ich dir gleich erklären, Schlampe«, sagte der Mann leise, ohne die beiden Frauen aus den Augen zu lassen.
Marion schielte auf Lilly. »Was hat er?«
Lilly Tonev schüttelte nur den Kopf. Sprechen konnte sie nicht. Ihre Kehle war zu.
Plötzlich begriff Marion Findley, daß es überhaupt nicht so gut für sie aussah. Tom Tiptree hatte sich verändert. Er war nicht mehr der, den sie kannte, und ihr Gesicht nahm allmählich eine rote Farbe an, weil ihr das Blut zu Kopf stieg.
»Was soll das?« fragte sie. »Sag mal, drehst du hier durch?«
»Nein, Marion. Das nicht. Es stimmt alles, was ich mache, nur hättest du nicht kommen dürfen, so muß ich statt einer Person gleich zwei umbringen. Verstanden?«
Marion lachte. Erst kichernd, dann leise, plötzlich laut und gellend, weil sie einerseits die Drohung ernst nahm und sie auf der anderen Seite für einen Witz hielt. Sie warf dabei ihren Kopf in den Nacken, schaute gegen die Decke und nicht mehr auf den Mann.
Das war ihr Verderben.
Zwar hörte sie den Warnschrei der Lilly Tonev, senkte auch den Kopf, zu spät.
Tom Tiptree war bereits vorgesprungen, und sein Arm schnellte ebenfalls nach vorn, wobei er den seltsamen Stab in seiner Hand hielt und die Frau am Hals traf.
Ein Messer dringt durch Haut und Fleisch. Nicht dieser Stab. Er berührte nur, doch das reichte aus, um all seine schreckliche Kraft zu entfalten und diese grausame Magie, die in ihm steckte.
Lilly Tonev bekam in den nächsten Sekunden das mit, was auch ihr bevorstand.
Kaum hatte das Ende des seltsamen Stabes die Haut berührt, als sich Marion nicht mehr bewegte und auch nicht konnte, denn sie war gebannt.
Tom Tiptree brauchte nichts mehr zu tun, er glitt zurück und schaute nur zu.
Der Tod dieser Frau wurde zu einem grauenerregenden Schauspiel. Kein Tropfen Blut war zu sehen, keine Wunde, nicht einmal eine Verletzung, dennoch starb die Person.
Sie kristallisierte!
Genau dort, wo sie der Stab berührt hatte, begann es. Die Haut am Hals schmolz hinweg. Sie wurde durch eine andere Masse ersetzt, aber keine weiche und nachgiebige, sondern eine harte, spröde, die durchsichtig war, denn die Adern und das Blut waren noch zu erkennen.
Auch Tom Tiptree zeigte sich fasziniert. Zum erstenmal bekam er mit, welch eine Waffe ihm da in die Hand gegeben worden war, seine Augen leuchteten, und er stieß flüsternd Worte aus, die er selbst nicht verstand.
Lilly Tonev wagte ebenfalls nicht, sich zu rühren. Sie hielt sogar den Atem an, und eine bedrückende Stille lag über dem Raum, wie sie nur die Stille des Todes sein konnte.
Deshalb war das Knistern genau zu vernehmen, denn mit dem Verglasen des Halses war es nicht beendet. Das Grauen, einmal eingeleitet, konnte nicht gestoppt werden, und es nahm seinen Fortlauf.
Die Veränderung wanderte weiter. Der Hals war bereits erfaßt worden, nun kam das Kinn an die Reihe, und der Begriff Glaskinn bekam hier eine erschreckend reale Bedeutung.
Gläsern wurden auch die Lippen, der Mund stand offen, ein letztes, schreckliches Geräusch drang daraus hervor, ein Atemzug, bevor Marion Findley nach hinten kippte, auf den Stuhl fiel, das Übergewicht bekam und schwer zu Boden fiel.
»Das ist die Gorgosen-Rache!« flüsterte Tom Tiptree. »Hier sind unsere Waffen. Und niemand kann uns aufhalten. Wir sind Gorgosen, Lilly. Hast du
Weitere Kostenlose Bücher