0263 - Wenn die Totengeister schreien
schüttelte sich. »Das wird ja von Tag zu Tag kälter«, sagte sie und zog den Verschluß der Steppjacke hoch.
»Weihnachten steht vor der Tür«, grinste Zamorra. »Zudem sind wir hier ein paar Meter höher als direkt am Strand von Ibiza. Sollte es dir aber zu kalt sein, wärme ich dich gern.«
»Wenn wir Leonardo haben, können wir mal darüber reden«, sagte sie.
Sie betraten den Pub. Zamorra ging als letzter. In der Tür sah er sich noch einmal um. Ralbury Castle erhob sich am Berg wie ein finsteres Gemäuer aus einer anderen, bösen Zeit. Irgendwie hatte der Parapsychologe das Gefühl, als gäbe es dort etwas, das ihn verschlingen wollte.
***
Es war Mittag, als Carmen und Pete sich trennten. Die Verabredung für den Abend blieb nach wie vor bestehen, und Carmen freute sich schon irrsinnig darauf, wieder mit Pete zusammen zu sein. Sie lenkte den kleinen Morris den Weg zum Castle hinauf, ohne die Umgebung richtig wahrzunehmen, und sie hatte Glück, daß ihr niemand entgegenkam. Ein Unfall wäre unvermeidbar gewesen. Erst als sie durch das mächtige Burgtor fuhr, kam sie wieder halbwegs auf den Boden der Tatsachen zurück.
Lag es am wolkenverhangenen Himmel, oder warum erschien ihr Ralbury Castle plötzlich so düster? Wie eine Raubritterburg, dachte sie und stellte den Wagen ab.
Thomas Kyll kam ihr entgegen, als sie auf den Haupteingang zuschritt. »Sie waren im Dorf. Miss Visher?«
Die glaubte Petes Küsse noch zu schmecken und fauchte ihn an: »Ich wüßte nicht, was Sie das angeht, Mister Kyll! Oder spielen Sie neuerdings Stechuhr?«
»Meine Güte«, murmelte Thomas. »Nun seien Sie nicht, gleich so aggressiv! Wir haben uns ein wenig Sorgen gemacht, weil Sie im ganzen Castle nirgends zu finden waren…«
»Fangen Sie nicht schon wieder mit dem Fluch an!« fuhr sie den Sohn des Earls an und schob sich an ihm vorbei. Der schüttelte nur den Kopf. Er machte sich wirklich Sorgen. Er hatte die zerstörte Gruft auch besucht, und er wußte, daß keiner einem Ungeheuer etwas entgegenzusetzen hatte, das solche Kräfte freisetzen konnte.
Andererseits - damals kamen die Toten immer nur nachts, um zu schreien. Tagsüber gab es also Sicherheit.
Thomas Kyll of Ralbury zuckte mit den Schultern und setzte seinen Weg fort. Sein Sportwagen stand in der Garage. Er wollte nach Perth hinüber, um einige Besorgungen zu machen.
Auf halbem Weg zwischen Castle und Dorf trat er auf die Bremse. Da stand eine Gestalt in abgerissener, dunkler Kleidung mitten auf dem Weg, einen Hut tief ins Gesicht gezogen. Thomas murmelte eine Verwünschung, drückte auf die Hupe, aber die Gestalt wich nicht. Dicht vor ihr brachte Thomas den Camaro zum Stehen. Er senkte die Scheibe der Fahrertür. »Was soll der Schwachsinn?« brüllte er. »Geben Sie den Weg frei!«
Ein Anhalter, der mitgenommen werden wollte, war das jedenfalls nicht. Vom Castle war kein Besucher abwärts unterwegs, anders herum war’s die falsche Richtung, und dann hätte er sich auch nicht so benommen.
Der Fremde hob die Hand und schob die Hutkrempe hoch. Thomas erstarrte.
Ein Toter stand vor ihm!
Ein Mensch, dessen Fleisch längst vermodert war! Und jetzt klappte er die Kiefer auf und - schrie!
SCHRIE!
SCHRIE!
***
Pete MacCloud suchte den Pub auf. Er wollte sich ein kleines Bierchen einverleiben. Seine Gedanken, kreisten immer wieder um Carmen Visher. Am liebsten hätte er sie gebeten, nicht wieder zum Castle hinauf zu fahren. Wenn die Toten tatsächlich wieder schrien, war es für das Mädchen zu gefährlich. Andererseits wußte er nicht, ob er das wirklich von ihr verlangen konnte. Immerhin waren Arbeitsplätze mehr als rar, und eine so gut bezahlte Stellung bekam sie wahrscheinlich nie wieder. Vielleicht würde sie sich von ihm abwenden, wenn er mit dem Vorschlag kam, zu kündigen.
Und dann war da noch lieb Mütterlein, das dezent anfragte, ob eine vom Castleß denn wirklich gut genug für ihn wäre.
Er mußte ’raus aus der Wohnung, einen Spaziergang machen Und das Bierchen trinken. Danach sah die Welt garantiert schon wieder besser aus. Vielleicht hatte Carwayne, der Wirt, auch noch etwas zu essen übrig. Daheim gab es sieben Tage in der Woche Eintopf. Den konnte Pete schon nicht mehr riechen, geschweige denn essen. Bloß: was sollte die alte Dame sonst kochen? Es gab ja nicht viel anderes hier, und was es gab, war zu teuer. Mißmutig erreichte Pete den Pub. Da stand ein Range Rover. Protzige Geländewagen wie dieser verirrten sich eigentlich recht
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