027 - Das Gesicht im Dunkel
erleichtert. »Sie wird die Lidderleys vielleicht kennen. Vor kurzem hörte ich aus Südafrika, daß Frau Lidderley schwer krank läge. Hast du sie nach ihrer Adresse gefragt?«
»Ich! Nach der Adresse eines betrunkenen Frauenzimmers? Nein, Lacy -«
»Herr Marshalt, zum Teufel!« donnerte der andere. »Wie oft soll ich dir das sagen?«
»Es rutschte mir 'raus!«
»Dann rutsch du gefälligst auch 'raus!« knurrte Marshalt und schlug die Tür hinter seinem respektlosen Diener zu.
»Der Mensch reizt mich über alle Maßen«, sagte er. »Natürlich haben wir uns als Jungen ›Lacy‹ und ›Jim‹ genannt, so daß es mir schwer wird, jetzt auf einer passenderen Anrede zu bestehen, aber man darf solche Formen doch nicht ganz beiseite lassen. - Verzeihen Sie die Unterbrechung! Um nun auf Malpas zurückzukommen, so weiß ich durchaus nichts über ihn. Es kann ja sein, daß es jemand ist, dem ich vor Zeiten einmal auf die Füße getreten habe - Sie wissen wohl nicht, wie er aussieht?«
»Alt und überaus häßlich, wie ich hörte. Außerdem hat er eine Kabarettsängerin beauftragt, Sie zu belästigen, was ja nicht viel auf sich gehabt hätte, wenn Sie nicht zufällig eine Abneigung gegen Kabarettdamen haben.«
»Könnten Sie nicht einmal hingehen und den Mann besuchen, Captain Shannon?« fragte Marshalt nach einigem Nachsinnen. »Verzeihen Sie, das ist wohl eine Zumutung! Aber mir liegt daran, festzustellen, wer er ist.«
Dick hatte jedoch ohnehin schon beschlossen, sich den geheimnisvollen Malpas anzusehen, so daß dieser Vorschlag überflüssig war.
Als Tonger die Haustür hinter Shannon geschlossen hatte, schlenderte dieser an dem Nachbarhaus entlang und blickte zu den öden Fenstern empor. Es war nicht zum erstenmal, daß er das Haus des wunderlichen Herrn Malpas aufgesucht hatte, aber um eine Unterredung hatte er noch nie gebeten. Er suchte nach einer Klingel, fand keine und klopfte an die Tür. Als alles still blieb, klopfte er kräftiger und fuhr heftig zusammen, als eine Stimme scheinbar dicht an seinem Ohr fragte: »Wer ist da?«
Bestürzt sah er sich um und entdeckte sofort die Lösung des Rätsels, als er in dem steinernen Türpfeiler ein Tortelefon gewahrte.
»Ich bin Captain Shannon von Scotland Yard und möchte Herrn Malpas sprechen«, sagte er.
»Das können Sie nicht!« knurrte die Stimme, und Dick vernahm ein leises Knacken. Und obwohl er mehrmals klopfte, blieb alles stumm.
12
So viel Freiheit und Behaglichkeit, wie Tonger genoß, ist nur sehr wenigen Dienstboten beschieden. Das ganze oberste Stockwerk des Hauses gehörte ihm. Dort hatte ihm sein Herr ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und ein Bad eingerichtet, und dort verbrachte er den größten Teil seiner Abende, indem er mit Hilfe eines kleinen Roulettespiels endlose mathematische Berechnungen anstellte. Es war sein Ehrgeiz, die Kasinodirektion von Monte Carlo durch ein von ihm erfundenes unfehlbares System in Schrecken und Verzweiflung zu versetzen.
An diesem Abend war er jedoch anderweitig beschäftigt, als die Klingel in seinem Zimmer ertönte, und er schloß die Tür sorgsam hinter sich zu, bevor er sich zu Lacy Marshalt hinunterbegab. Dieser erwartete ihn ungeduldig in seinem Arbeitszimmer und sagte: »Erwarte Frau Elton um sieben Uhr fünfundvierzig an der Hintertür und laß sie herein. Dann fahre das Auto vor die Albert Hall, stelle es zwischen den andern auf, bis das Konzert vorbei ist, und komme wieder mit dem Auto an die Hintertür zurück.«
»Ist das nicht ein bißchen gefährlich, nach dem Brief, den Sie von Elton bekamen?«
»Was weißt du von dem Brief? Ich hatte ihn eingeschlossen!«
»Ach, das ist ja einerlei. Jedenfalls hab' ich ihn gelesen und sage Ihnen, daß es gefährlich ist. In einem Scheidungsprozeß möchten Sie doch wohl nicht mitspielen?«
»Mit dir als Zeuge!« höhnte der andere.
»Sie wissen sehr gut, daß ich nie gegen Sie aussagen würde«, versetzte Tonger gleichmütig. »So was liegt mir nicht. Aber wenn ein Kerl wie Elton mir schriebe, wenn er mich noch mal mit seiner Frau zusammen sähe, würde er mich niederschießen, so würde ich mir die Sache doch sehr überlegen.«
»Frau Elton hat geschäftliche Dinge mit mir zu besprechen«, sagte Marshalt kalt. »Tu, was ich dir gesagt habe.«
»Damit das Auto, das die ganze Zeit vor der Albert Hall gewartet hat, als Beweis dafür dient, daß Frau Elton das ganze Konzert mit angehört hat!« kicherte Tonger. »Was wollte der ›Geheime‹ denn hier? Kam
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