027 - Das Henkersschwert
dransetzen, um dich und mich zu töten.«
»Dich auch?« fragte Dorian.
»Ja, mich auch«, sagte das Mädchen. »Mein Vater hat mich verstoßen. Das bedeutet, daß ich zum Tode verurteilt bin. Ich habe seine Befehle mißachtet und deshalb muß ich sterben.«
Dorian startete und fuhr los. Er war sehr skeptisch. Er glaubte Coco nicht ein Wort.
Er reihte sich in den Abendverkehr ein und fuhr in Richtung Stadtzentrum. Es erschien ihm noch immer wie ein Wunder, daß ihm die Flucht aus dem Sarg gelungen war. Jetzt war eigentlich der Zeitpunkt gekommen, einige Fragen an Coco zu richten.
»Ich bin in eine Falle gelockt worden«, sagte er, »nicht wahr?«
»Ja«, sagte Coco. »In eine seit langem vorbereitete Falle.«
»Und du hast eine Hauptrolle dabei gespielt.«
»Stimmt«, sagte Coco. »Ich verhexte dich. Das begann schon, als ich nicht mehr von dir wußte als deinen Namen. Ich wollte nicht mitmachen, doch ich wurde gezwungen. Es blieb mir keine andere Wahl. Es ist sinnlos, sich gegen die Familie auflehnen zu wollen. Trotzdem habe ich es getan, weil ich …«
Sie sah aus dem Fenster.
»Weshalb?« fragte er, obwohl er die Antwort zu wissen glaubte.
Coco sah ihn an. »Weil ich … Ich habe mich in dich verliebt«, sagte sie. »Deshalb.«
»Und das soll ich dir glauben? Nach allem, was geschehen ist?« fragte er grimmig. »Du hast mich verhext, du hast mich dir hörig gemacht, und nun soll ich dir glauben, daß du in mich verliebt bist?« Coco seufzte.
»Damit habe ich gerechnet«, meinte sie. »Ich kann mir gut vorstellen, welche Wut du mir gegenüber verspürst. Aber wenn ich mich nicht gegen meine Familie gestellt hätte, wärst du jetzt tot«
Dorian lachte. »Und wenn du mir keine Falle gestellt hättest, dann wäre ich gar nicht in diese Situation gekommen.«
»Kannst du denn nicht verstehen, daß mir keine andere Wahl blieb?«
Dorian schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er.
»Ich kann dich nicht überzeugen«, sagte sie resigniert. »Aber vielleicht merkst du später, was ich alles aufs Spiel gesetzt habe, um dich zu retten.«
»Vielleicht«, sagte Dorian. »Ich fahre jetzt in die Klinik zu meiner Frau. Und dann werde ich deiner
Familie einen Besuch abstatten.«
»Das kannst du nicht tun«, warnte Coco ihn. »Das wäre dein sicherer Tod.«
»Kennst du einen Norbert Helnwein?« fragte Dorian.
»Ja, den kenne ich. Ich habe ihn ein – oder zweimal gesehen. Ein alter Mann. Ein Sammler von makabren Dingen. Meine Familie kaufte oft Gegenstände von ihm. Wieso fragst du nach ihm?«
Dorian gab ihr keine Antwort.
»Wo wohnt deine Familie?« fragte er.
»Ganz in der Nähe von Helnwein. Praktisch um die Ecke. In der Ratmannsdorfgasse 218 in Hietzing.«
»Und deine Familie hat dich tatsächlich verstoßen?« fragte er.
»Sie haben mich ausgestoßen, das bedeutet, daß ich vogelfrei bin. Sie werden mich töten. Ich bin zu gefährlich, um am Leben bleiben zu können.«
»Das ist doch Unsinn!« sagte Dorian scharf.
»Wir haben eigene Gesetze, nach denen wir handeln. Bei uns zählt, was der Vater sagt. Es gibt keine Auflehnung.«
»Dann müßtest du doch ein Interesse daran haben, deiner Familie Schaden zuzufügen?« fragte er lauernd.
Coco schwieg, dann schüttelte sie den Kopf. »Du wirst es wahrscheinlich nicht verstehen können, aber ich kann ihnen nichts antun. Es geht nicht. Ich hasse sie nicht, ich will nur nichts mit ihnen zu tun haben. Sie ließen mich nicht eigene Wege gehen. Ich mußte gehorchen. Ich war ein Außenseiter, doch sie wollten es nicht wahrhaben. Sie zwangen mich dazu, mitzumachen bei ihren abscheulichen Gebräuchen, vor denen mich ekelte. Kannst du das nicht verstehen?«
Tränen rannen über ihre Wangen.
Dorian warf ihr einen kurzen Blick zu. Wenn sie tatsächlich die Wahrheit sagte … Aber sie log ganz sicher. Er durfte ihr nicht trauen und sich nochmals von ihr einlullen lassen. Auch er war ein Außenseiter unter seinen Brüdern. Alle waren zu Unmenschen, zu Monstrositäten geworden, nur er nicht. Vielleicht ging es Coco genauso. Es konnte möglich sein, doch er durfte nicht darauf bauen. Sie war eine Hexe. Und sie würde das bekommen, was eine Hexe verdiente.
»Du glaubst mir nicht?« fragte sie.
»Ich weiß nicht recht«, sagte Dorian vorsichtig. »Wie ist das mit Bruno Guozzi?«
Coco schauderte. »Er tauchte vor einem Jahr in Wien auf. Er gehört der Schwarzen Familie an. Vor zwei Jahren hatte er auf Sizilien eine Auseinandersetzung mit der Mafia. Er wurde lebendig
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