027 - Ruf des Blutes
allem deren Angst. Und manchmal glaubte er ihre Blicke zu spüren, aller Heimlichkeit, mit der sie sich voran bewegten, zum Trotz.
Menschen, die sich versteckten. Die sich nicht mehr aus ihren Unterschlupfen wagten, seit das Grauen in ihre Stadt Einzug gehalten hatte…
»Da ist es.«
Rhian war in der Deckung eines Schutthaufens stehen geblieben, gerade hoch genug, dass ihr Blick noch darüber und auf das fiel, was sich ein Stück entfernt hinter einem hohen Maschendrahtzaun erhob. Eine alte Fabrik. Genauer gesagt ein Zweigwerk der Coca-Cola-Company. Das rotweiße Firmenzeichen hatte die Jahre überdauert und prangte noch immer an der hohen Gebäudewand.
»Was soll hier sein?«, fragte Matt.
»Da drinnen haben sie sich eingenistet«, behauptete Rhian, »und treffen ihre Vorbereitungen.«
»Für das… Blutfest?«, meldete sich Jonpol Sombriffe zu Wort.
Rhian nickte. »Ich habe es gesehen.«
»Warst du drin?«, fragte Matthew. »Ja.«
»Dann zeig uns, wie man reinkommt. Ich möchte mich gern mit eigenen Augen überzeugen.«
Rhian hob die Schultern. »Wie ihr wollt. Aber es ist gefährlich.«
»Das nehmen wir in Kauf«, sagte Matt. Jonpol nickte eifrig.
»Na gut. Kommt mit - dort hinüber.«
Sie ging voran, entfernte sich ein Stück von der Fabrik und betrat eine schmale Straße, in deren Mitte sie stehen blieb.
»Helft mir«, sagte sie, bückte sich und machte sich an einem Kanaldeckel zu schaffen.
Damit war für Matt klar, wie sie in die Fabrik vordringen würden. Durch die Kanalisation, natürlich. Die alten Tunnel führten wie ein zweites Straßennetz unter der Oberfläche einher.
Es war nicht das erste Mal, dass Matt die Unterwelt einer Stadt betrat. Er erinnerte sich Bologna, wo er schon einmal in eine Festung der Nosfera eingedrungen war, und an Aachen, wo er mit Aruula gegen mutierte Insekten angetreten war. [5]
Auch unter Philadelphia hatte sich der Gestank über fünfhundert Jahre lang gehalten. Nur - und das erschreckteMatt Drax fast - machte ihm der Kloakengeruch längst nicht mehr so viel aus wie vor ein paar Monaten noch…
Matt übernahm es, den Deckel über dem Ausstieg in die Höhe zu drücken. Zu seiner Überraschung verließen sie die Kanalisation nicht innerhalb der Fabrik, sondern durch ein Loch in unmittelbarer Nähe der Außenwand.
Damit hätten sie sich den Weg durch die stinkende Unterwelt eigentlich sparen können, fand Matt, weil es allem Augenschein nach niemanden gab, der die unmittelbare Umgebung der Fabrik überwachte. Andererseits sprach diese Vorgehensweise für die absolute Vorsicht Rhians, und möglicherweise verdankte sie es eben dieser Vorsicht, dass sie noch lebte.
Er wollte und musste mehr über dieses Mädchen herausfahren. Rhian reizte ihn wie eine verschlossene Schatztruhe, die alles Mögliche bergen konnte.
Rhian bedeutete ihnen, sich im Schatten der Mauer zu halten. Kaum mehr als Schatten, huschten sie zur nächstgelegenen Ecke, wo sich ein Blitzableiter neben der Kante an der Wand empor rankte. Das brüchig gewordene Mauerwerk bot überdies Möglichkeiten, mit Händen und Füßen hinreichend Halt zu finden, wie Rhian bewies, als sie mit geradezu katzenhafter Gewandtheit hinaufkletterte.
Von unten sah Matt, dass das Mädchen unter dem Umhang fast nichts trug; nur ein knappes Höschen, das ihren knackigen Po nicht einmal halb bedeckte, darüber eine Art Bustier.
Eine Feststellung, die ihn nicht gerade ruhiger werden ließ…
»Süß, nicht?«
Jonpol Sombriffe stand neben ihm und versetzte ihm einen anzüglichen Rippenstoß, während er Rhian ebenfalls mit Blicken folgte.
Matt musste sich von dem Anblick förmlich losreißen. Dann machte er sich selbst an den Aufstieg. Rhian erwartete sie auf dem Flachdach, über das der Wind ungehindert fuhr. Einmal mehr erinnerte ihr flatternder Umhang an Flügel. Und wieder schien sie eher zu schweben denn zu gehen, als sie sich geduckt in Richtung einer Reihe von Kunststoffkuppeln bewegte. Unter den Abdeckungen lagen Dachluken. Das Plastik war zu trüb, als dass man hindurch blicken konnte. Darunter schien allerdings alles in Dunkelheit zu liegen.
Zielsicher steuerte Rhian das dritte Oberlicht in der Reihe an. Fast geräuschlos hob sie die Abdeckung an, warf einen kurzen Blick durch den Spalt, dann klappte sie die Kuppel vollends zur Seite.
Der fast volle Mond spendete genügend Licht, sodass Matt dort unten auch etwas erkennen konnte. Obgleich es kaum .etwas zu sehen gab. Der Boden lag vier oder fünf Meter
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