027 - Ruf des Blutes
unter ihnen, und der Raum war, so weit er ihn überblicken konnte, leer.
»Und jetzt?«, fragte er Rhian. Ihm stand der Sinn nicht unbedingt nach einem Sprung in die Tiefe über fünf Meter auf harten Beton.
Das Mädchen lächelte nur, griff hinter die Umrandung der Luke und förderte ein aufgerolltes Seil zutage. Ein Ende band sie um die Scharniere der Abdeckung, dann warf sie das Bündel hinab.
»Ich zuerst«, sagte sie nur, schwang sich durch die Luke und ließ sich geschwind wie ein Äffchen am Seil hinunter. Unten angekommen, sah sie sich nach allen Seiten um, dann winkte sie den beiden Männern ihr zu folgen, was sie weit weniger elegant erledigten. Der Raum war in der Tat leer. Irgendwann mochte er als Lager gedient haben. An der Stirnseite gab es einen Aufzug, dessen schwere Tür Rhian auf zog. Dahinter war keine Kabine, sondern nur ein leerer Schacht, der ins Bodenlose führte.
Wieder zauberte Rhian ein Seil hervor. Das Ende war bereits an den Scharnieren der Tür befestigt, die Rolle selbst war in einer Nische in der Schachtwand festgeklemmt gewesen.
»Du scheinst hier ja ein und aus zu gehen«, meinte Matt. »Wie oft warst du schon hier?«
Sie zuckte die Achseln. »Ein paar Mal.« Dann kletterte sie in den Schacht hinab. Wieder folgten ihr Matt und Jonpol.
Sie passierten eine Tür. Erst auf der nächst tiefer gelegenen Etage verließen sie den Liftschacht. Ein kurzer Gang führte von der Tür weg und mündete auf eine Galerie. Hinter deren Brüstung wogte Licht aus der Tiefe herauf. Geräusche waren zu vernehmen - Schritte, Stimmen, Undefinierbares.
»Kein Wort mehr!«, zischte Rhian und bewegte sich dicht an der Wand entlang bis zur Ecke vor. Matt und Jonpol drängten sich hinter das Mädchen, sahen an ihm vorbei und über das Geländer der Galerie hinweg. Man musste kein Getränkeherstellungsspezialist sein, um zu erraten, dass sich dort unten das Herzstück der einstigen Fabrik befand. Matt sah Teile von Förderanlagen, Kessel, Leitungen und Rohre, hohe Tanks aus Kunststoff. Hier war vor langer Zeit einmal die weltberühmte »koffeinhaltige Limonade« hergestellt und abgefüllt worden.
Doch warum sollten sich Nosfera ausgerechnet diesen Ort auswählen, um… was auch immer zu tun?
Entgegen der Warnung, absolutes Schweigen zu bewahren, stellte er Rhian die entsprechende Frage.
Sie verstieß gegen das eigene Gebot und antwortete wispernd: »Siehst du die Behälter?« Sie wies auf die Tanks, die Matt bereits ausgemacht hatte. Ihr Fassungsvermögen musste gut hundert Gallonen betragen. Er nickte.
»Sie sind mit Blut gefüllt.«
Matt schauderte. Sein Magen revoltierte. »Das… gibt's nicht«, presste er hervor.
»Du glaubst mir nicht?« Rhian wartete keine Antwort ab. Dicht an der Wand entlang huschte sie um die Ecke auf die Galerie. »Kommt mit.«
Das Mädchen führte sie über die Galerie in Richtung der aufragenden Tanks. Auf dem Weg dorthin gelang es Matt, mehr von dem zu erkennen, was weit unter ihnen im Licht von Fackeln vorging.
Er sah Gestalten in kuttenartigen Gewändern, über ein Dutzend. Sie machten sich an der alten Produktionsanlage zu schaffen. In ihrem Aufzug wirkten sie wie Angehörige eines Geheimbundes.
Sie erreichten die Tanks und verhielten in ihrem Sichtschutz. Vier standen in einer Reihe, auf der gegenüberliegenden Seite noch einmal so viele.
Rhian zog einen Pfeil hervor, setzte die Spitze gegen die Tankwandung, und nach einer kleinen Weile war es ihr gelungen, ein Loch hinein zu bohren. Sie zog den Pfeil heraus, und aus der Öffnung rann eine dunkle Flüssigkeit. Rhian fing etwas davon mit der Hand auf, dann verstopfte sie das Loch mit einem Holzspan.
Die nasse Hand hielt sie Matt hin. Er strich mit dem Finger durch die Feuchte. Von unten drang genug Licht herauf, dass er die Farbe der Flüssigkeit ausmachen konnte.
Rot wie Blut.
Er roch daran - Kupfergeruch…
»Nun?«, fragte Rhian. Es klang fast ein wenig triumphierend.
Matt hätte sich am liebsten übergeben. Und auch Jonpols bronzener Teint gerann zu etwas Aschfahlem. Selbst wenn nicht alle diese Tanks voll mit Blut waren - es mussten Unmengen von Menschen gestorben sein, um auch nur einen dieser gewaltigen Behälter mit Blut zu füllen…
Etwas Kaltes stieg in Matt auf. Zorn. Ekel, Entsetzen. All das vereinte sich zu etwas, das sein Denken auszuschalten drohte. Er ballte die Fäuste, wäre liebend gerne dort hinunter gestürmt, um jedem Einzelnen dieser Mörder eigenhändig den Hals umzudrehen!
Rhian
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