027 - Werwolf in der Nacht
der traut sich nicht aufs Gut, sonst wäre es schnell vorbei mit ihm.«
»Ihr Onkel scheint da anderer Meinung zu sein. Er hat vorhin eine Pistole eingesteckt, ehe er hinausging.«
»Onkel Olaf ist ein alter Hasenfuß. Er fürchtet sich vor seinem eigenen Schatten.«
Sie ging hinaus, und Inger Larsson setzte sich auf ihren Platz am Kaminfeuer.
»Ich muß mit Ihnen reden, Mr. Hunter«, sagte sie in einem gut verständlichen Englisch. »Birgit sagte mir, Sie wären der vertrauenerweckendste Mann unter all den zwielichtigen Figuren, die wegen der Werwolfjagd auf den Hof gekommen sind. Es gibt etwas, das Sie erfahren müssen. Aber es muß unter uns bleiben, Mr. Hunter.«
»Darauf können Sie sich absolut verlassen. Ich weiß Ihr Vertrauen zu schätzen.«
»Seit der Werwolf aufgetaucht ist, ist Elmar Larsson völlig verändert. Er war schon immer schwierig, barsch und hart gegen sich selbst und andere, aber in den letzten Wochen ist er ein wahrer Teufel geworden. Nehmen Sie nur seine Trinkerei. Kein gesunder und starker Mann könnte verkraften, was er trinkt, nicht einmal in den besten Jahren. Der Alkohol scheint überhaupt keine Wirkung auf ihn zu haben. Er scheint das böse Feuer in ihm nur noch mehr zu entfachen.«
»Haben Sie sonst noch etwas Auffälliges bemerkt? Seit wann genau ist er so verändert?«
»Vor sechs Wochen lag er auf dem Sterbebett. Wir glaubten, er würde die nächste Stunde nicht überleben, aber dann plötzlich war er wieder kerngesund, von seinen gelähmten Beinen abgesehen. Von da an war er anders. Es war, als sei jeder Funke Liebe und Güte in ihm völlig erloschen. Ein paar Tage darauf, drei oder vier, tauchte der Werwolf zum erstenmal auf. Zuerst hörte man nur sein Geheul in der Nacht, und seine Spuren wurden im Schnee gefunden. Keine Woche später riß er den Jäger.« Sie sah ins lodernde Kaminfeuer und zog die Schultern hoch, als fröstelte sie. »Früher hat mein Schwiegervater Birgit abgöttisch geliebt, wenn er sie auch manchmal anbrummte. Aber auch davon ist nichts mehr zu merken. Das arme Kind ist völlig verwirrt. Neulich hat er sie sogar mit der Peitsche aus seinen Räumen im Obergeschoß hinausgeprügelt, weil sie ihn im Scherz neckte. Früher hätte er gelacht und wäre sogar auf ihre Witzeleien eingegangen.«
»Davon hat mir Birgit nichts gesagt.«
»Sie läßt eben nichts auf ihren Großvater kommen. Sie glaubt, er würde noch an den Folgen der schweren Krankheit leiden und sich bald wieder erholen.«
»Was glauben Sie, Frau Larsson?«
»Ein guter und sympathischer Mensch war mein Schwiegervater nie. Er war immer hartherzig und grob. Aber vielleicht muß man so sein, wenn man einem Gut von der Größe Falös vorstehen und es zur Blüte bringen will. Er pflegte früher halb im Scherz zu sagen: Was an mir gut ist, ist das Gut. Doch in den letzten Wochen hat er sich kaum noch um die Geschäfte gekümmert und das meiste Gunnar überlassen, den er früher kaum an die Bücher heranließ. Nur sein Werwolf liegt ihm am Herzen. Immer geht es um die Bestie. Jeden Morgen fragt er, ob sie wieder aufgetaucht, ob etwas passiert ist. Dazu sein verändertes Wesen, seine Trinkerei, seine plötzliche Genesung auf dem Totenbett …« Sie sah mich scharf an. »Das ist nicht normal, Mr. Munter. Das geht nicht mit rechten Dingen zu.«
Wir schwiegen beide. Im Kaminfeuer prasselten die würzigen Duft verbreitenden Buchenscheite.
Da gellte draußen ein Schrei durch die Nacht. Ich glaubte, Birgits Stimme zu erkennen. Dann rief ein Mann um Hilfe.
Ich sprang auf, und der Stuhl fiel polternd um. Ich riß die Tür auf und stürzte in die kalte, sternklare Nacht hinaus. Wieder schrie das Mädchen, schrill und voller Todesangst. Es war hinter denn Gutshaus.
Ich lief ums Haus herum. Da waren sie, hinten im verschneiten Garten. Birgit stand unter einem kahlästigen Apfelbaum, und vor ihr kämpften zwei Gestalten im Schnee. Im Obergeschoß riß und zerrte jemand am Fenster, bekam es aber nicht auf. Als ich näher kam, sah ich, daß es Olaf Sörensen war, der da im Schnee lag, keuchend – in Todesangst.
Der Werwolf hatte ihn niedergeworfen. Das Monstrum war sehr groß; sein Kopf war der eines Wolfes mit einer schwarzen Mähne, sein behaarter, degenerierter Menschenkörper mit den starken, in Pranken endenden Läufen strotzte vor Kraft. Seine Augen funkelten rot. Er knurrte mich an.
Ich sprang auf ihn zu, das silberne Bajonett in der Rechten.
»Hilfe!« röchelte Olaf Sörensen. »Hil …«
Der
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