027 - Werwolf in der Nacht
läßt du die Kälte ins Haus, du dumme Gans? Willst du uns alle erfrieren lassen?«
»Dir schadet es nichts, wenn dir einmal ein wenig frische Luft um den Kopf weht, Großvater. Heute abend warst du reichlich muffig.«
Der Werwolf schmiegte sich in den Schatten des Gästehauses. Er sah die schlanke Gestalt des Mädchens und den alten Mann im Rollstuhl. Birgit war völlig unbefangen, der Alte böse und gereizt. Der Werwolf fühlte, wie der Zorn in Elmar Larsson hochloderte.
»Mach sofort die Fenster zu!« knurrte der Alte seine Enkelin an. »Hättest sie vorher aufreißen sollen, dann wären wir das ganze Geschmeiß noch viel früher losgeworden. Los, mach sie zu. sonst sollst du mich kennenlernen!«
»Du hast uns allen den ganzen Abend verdorben, Großvater. Warum bist du so böse und gemein in der letzten Zeit? Man könnte glauben, bei deiner schweren Krankheit sei alles Gute in dir gestorben und nur das Böse sei am Leben geblieben.«
Larsson wurde rot im Gesicht. »Was sagst du da, du elendes Weibsstück? Gehorchst nicht und führst solche Reden? Dir werde ich es zeigen.«
Er schwang die Peitsche und schlug wild auf das völlig verdutzte Mädchen ein. Birgit war so verblüfft und überrascht, daß sie nicht einmal schrie; sie hatte unbefangen und in bester Absicht mit dem Alten gesprochen.
Da fegte ein Schatten mit einem Sprung durch das geöffnete Fenster herein. Eine behaarte Pranke entriß Elmar Larsson die Peitsche. Der Werwolf knurrte ihn an. Larsson fuhr bis an die Wand zurück. Der Wolf schleuderte die schwere Peitsche mit dem silbernen Knauf in die Ecke, als hätte er sich daran verbrannt.
»Rühr sie nicht an!« knurrte er kehlig.
Elmar Larsson ahnte mehr, was die knurrenden, grollenden Laute bedeuteten, als daß er sie verstand. Entsetzt und fassungslos starrte er das Untier an. Und plötzlich erkannte er, wer ihm da gegenüberstand. Es war jemand, den er nur allzugut kannte.
»Du bist das also!« krächzte er. »Ich habe das Gerücht vom Auftauchen des Werwolfs gehört, aber ich habe darüber gelacht. Du fühlst dich in deiner Situation sicher nicht wohler als ich in meiner, was? Es muß furchtbar für dich sein, als Bestie herumzulaufen und den wilden Instinkten deiner Art unterworfen zu sein. Er hat ein falsches Spiel getrieben, der verfluchte Dämon, als er an mein Sterbebett kam.«
»Du bist die Bestie«, knurrte der Werwolf. Seine feinen Ohren hörten einen leisen Schritt. Er ließ sich auf alle viere nieder und sprang geschmeidig aus dem Fenster.
Gunnar Larsson kam die Treppe herunter.
»Kein Wort davon!« zischte Elmar seiner Enkelin zu. »Wir sprechen später darüber.«
Gunnar hatte flüchtig eine Bewegung am Fenster gesehen. »War jemand hier?« fragte er, als er unten an der Treppe stand.
»Einer von den Knechten«, sagte der Alte. »Vielleicht wollte er etwas stehlen. Birgit und ich sind auch gerade aus dem Nebenzimmer hereingekommen und haben ihn wohl gestört. Leider habe ich den Kerl nicht erkannt.«
Wenn Gunnar die Geschichte merkwürdig vorkam, so zeigte er es nicht. Als sein Sohn fort war, legte Elmar Birgit ans Herz, niemandem und unter keinen Umständen etwas von der Szene in der Halle zu erzählen. Sie stimmte zu, hauptsächlich um dem Alten einen Gefallen zu tun.
»Der Werwolf ist ein alter Feind von mir«, erzählte er ihr. »Eine mörderische Bestie, die mir nach dem Leben trachtet. Es gibt da eine dunkle Geschichte in meiner Vergangenheit, von der keiner etwas wissen darf. Diesmal hat er sich mir nur gezeigt, das nächste oder das übernächste Mal wird er mich töten wollen. Aber das soll ihm nicht gelingen.«
Noch in der gleichen Nacht suchte der alte Larsson seine alte Pistole hervor. Und am nächsten Tag ließ er sich Silberkugeln gießen.
Der Werwolf aber riß am nächsten Abend sein zweites Opfer. Von wilder Blutgier gequält, tötete er eine Magd aus dem Dorf nahe dem Gutshof. Sie hatte auf dem Gutshof den Knecht besucht, mit dem sie verlobt war, und sich dort verspätet. Ehe sie die drei Kilometer zum Dorf zurückgelegt hatte, war es dunkel geworden. Als sie schon die Lichter ihres Dorfes ganz nahe vor sich sah, fegte plötzlich hinter einem Ginsterstrauch ein Schatten hervor. Rote Augen glühten, Prankenhände warfen sie nieder. Reißzähne zerfetzten ihre Kehle, erstickten ihren Schrei.
Im Dorf bellten und heulten die Hunde wie toll. Mutige Männer eilten herbei. Aber der Werwolf hatte den Leichnam der Magd weggeschleppt, und ihm in die Nacht zu
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