0274 - Nadine Bergers Geheimnis
Sheila verhielt sich nicht still und jagte aus dem Sessel hoch.
Der Zufall wollte es, daß ich günstiger als mein Freund Suko saß, so war ich als erster bei ihm. Genau in dem Augenblick, als er sich umdrehte, wobei er die gefesselten Arme gehoben hatte, um sie nach unten sausen zu lassen.
Ich sollte das Ziel sein.
Der Hieb kam auch. Nur hatte ich damit längst gerechnet, tauchte zur Seite und schlug selbst zu.
Meine Faust traf das Fell irgendwo in der Körpermitte. Es war ein guter Treffer. Durch die Fesselung konnte sich die Bestie nicht auf den Beinen halten und krachte schwer auf den Rücken. Sie überstand diesen Fall, fauchte und knurrte uns wütend an.
Ich schüttelte mich. »So nicht, mein Freund«, sagte ich, obwohl er nichts verstand. Dafür rollte er wieder auf dem Boden umher, und Suko war es schließlich leid.
Mein Partner stürzte sich auf den Wolf, wuchtete mit seinem schweren Körper den anderen am Boden fest und drückte ihm gleichzeitig die Mündung der Beretta zwischen die Augen.
Auch mich hatte Suko mit dieser Aktion überrascht. Ich wußte nicht, was er vorhatte, hörte jedoch seinen Schrei. »John, nimm die Kreide, wir müssen ihn festkriegen!«
Die Idee war gut. Zwar verschmutzte ich damit den Teppich der Conollys, aber das spielte in diesem Fall nur die geringste Rolle.
Bandor ahnte, was ihm blühte, wenn er sich jetzt noch unkontrolliert bewegte. Er schielte auf die Waffenmündung, rührte sich aber nicht, und mir gelang es, die Kreide einzusetzen. Um seinen Körper herum malte ich ein großes Oval, eine Barriere, die er, so hofften wir, nicht durchdringen würde.
Es dauerte nur wenige Sekunden, dann hatte ich meine Arbeit beendet.
Als ich auf die Füße schnellte, kam auch Suko hoch. Er stieß keuchend die Luft aus und nickte. »Das war's wohl«, sagte er.
»Und wie!« Ich grinste.
»Was machen wir jetzt?«
»Zusehen, ob er es schafft!«
Natürlich wollte Bandor es versuchen. Er lag noch einige Sekunden still.
Anscheinend dachte er darüber nach, ob es Zweck hatte, noch einmal die Kräfte einzusetzen, dann rollte er sich auf die linke Seite und kam gefährlich nah an die magische Grenze.
Er berührte sie.
Im nächsten Augenblick zitterte sein gellender Schrei durch das Haus und dröhnte in unseren Ohren. Aber Bandor war gebannt. Er schaffte es nicht, die Grenze zu überschreiten, und wir konnten zufrieden sein. So hatten wir einen »ruhigen« Werwolf bekommen.
Auch die Frauen atmeten auf.
Bandor aber wimmerte. Er hatte etwas abbekommen, denn als er sich wieder von der Grenze wegdrehte, war da, wo er die magische Linie berührt hatte, sein Fell verbrannt.
Dort sah es nicht mehr schwarz aus, sondern grau und stumpf. Zum Teil war es auch verschwunden, so daß auf der dunklen Haut ein rötlich schimmernder Fleck zurückgeblieben war.
Er hatte sich diese Verletzung selbst zuzuschreiben, aber wer sollte ihm schon raten? Und konnte man einem Werwolf überhaupt einen Rat geben? Nein, so eine Bestie reagiert nur auf Druck.
»Und jetzt?«
Suko hatte die Frage gestellt. Sie war berechtigt. Niemand von uns wußte eine Antwort.
Ich hob die Schultern. »Suko, ich weiß es nicht. Tut mir leid. Vielleicht hätte uns Nadine etwas sagen können, aber sie ist weit weg. Verschwunden, falls sie überhaupt noch lebt.«
Als ich dies sagte, wurde Sheila blaß. »Du…du hast doch keine Beweise dafür«, flüsterte sie.
»Das stimmt. Es war nur eine Vermutung, meine Liebe.«
»Denkst du auch an Bill?«
Ich konnte Sheila und ihre Frage sehr gut verstehen. Natürlich dachte ich an ihn, und ich hoffte sehr stark, daß er noch lebte. Das sagte ich Sheila auch.
Sie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Dabei öffnete sie den Mund, um etwas zu sagen, aber sie brachte keinen Laut hervor. Ihre Stimme erstickte.
»Solange wir keine Nachricht von seinem Tod erhalten haben, besteht noch Hoffnung«, stand Suko mir bei.
»Sei doch ruhig«, sagte Shao.
»Wieso? Ich…«
»Du machst sie nur noch deprimierter.«
Suko hob die Schultern und schwieg. Da sich der Werwolf ebenfalls nicht rührte, breitete sich Stille innerhalb des Raumes aus. Es war eine Streßlage. Wir hockten hier und konnten nichts tun, waren hilflos, denn die Ereignisse, auf die es ankam, liefen außerhalb unserer Kontrolle und unseres Wirkungsbereiches ab. Wir konnten uns nur als Zuschauer oder Statisten bezeichnen.
So etwas hatte uns noch nie gelegen. Zu wissen, daß ein Freund in Gefahr schwebte und man selbst nichts
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