0275 - Der Fluch des Ägyptergrabs
geschlossen hatte. So gut es ging, bemühte sich das Mädchen, sich ebenfalls mit dem Rücken zur Türfüllung langsam in das Zimmer hineinzudrehen und ihre weiblichen Reize zur Geltung zu bringen.
Sie merkte nicht, daß hinter ihr sich eine Tür öffnete und Amun-Re heraustrat. Zwei Atemzüge später wimmelten die Gänge von Wachen, die Speere wurfbereit in den Händen hielten.
Drinnen bekam Helena von Troja einen Wutanfall. Sosehr sich Sandra Jamis bemühte, verführerisch zu wirken – es gelang nicht. Das Mädchen, das sich in seiner Welt gerne still hinter Büchern vergrub oder mit Pferden gern weite Geländeritte machte, hatte nicht die leiseste Ahnung, wie es seinen Körper einsetzen konnte, damit die Männer auf es aufmerksam wurden. Überall wurde sein sanftes Wesen geschätzt, doch wenn es in der Disco versuchte, die Aufmerksamkeit der Jungen auf sich zu lenken, ging das meistens schief.
So schief wie der erotische Gang, um den sich Sandra hier so verzweifelt bemühte.
»Ich werde dich lehren, wenn du mich verhöhnen willst!« fauchte Helena. »Die Peitsche wird es dich lehren, mein Täubchen, und…!« Sie kam nicht weiter. Sandra Jamis, die sich zusammenkauerte und wehrlos den Hieb mit der Peitsche erwartete, sah aus furchtsamen Augen, daß Helena das Züchtigungsinstrument zwar schwang, offensichtlich aber von einer unsichtbaren Kraft daran gehindert wurde zuzuschlagen.
In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen. Wie ein rasender Dämon erschien Amun-Re. Seine Hand schwang einen leichten Wurfspeer.
»Dort ist der Eindringling. Ergreift ihn!« brüllte er.
»Herr! Dort ist niemand!« sagte einer der Wächter. »Zwar sehen wir Fußspuren, aber…!«
»Hier … Ich habe ihn!« keifte Helena. Mit beiden Händen griff sie ins Leere. Amun-Re jedoch erkannte, daß sie etwas festhielt. Mit aller Kraft schleuderte er den Speer. Zischend durchschnitt die Waffe die Luft und – bohrte sich durch den Körper der Griechin. Aufseufzend sank Helena zu Boden.
»Das Versteckspiel nützt dir nichts, Zamorra!« fauchte Amun-Re. »Ich weiß, wo du bist. Diesmal habe ich die Frau getroffen – doch dieser Speer trifft dich, wenn du zu fliehen versuchst!«
»Du hast gewonnen, Amun-Re!« erklang die Stimme aus dem Nichts. Dann war plötzlich Professor Zamorra da. Geschickt verstand er es, die Tarnkappe mit einer Drehung in seinen Gürtel zu schieben, denn sie war Amun-Re noch unbekannt und durfte ihm keinesfalls in die Hände fallen. Doch in diesem Moment des Triumphes hatte der Zauberer keinen Blick für einen offenbar wertlosen Stoffrest. Amun-Re wußte, daß Zamorra ein Meister der Weißen Magie war und es auch in dieser Kunst gelang, den Körper unsichtbar zu machen. Daß Zamorra von seinen weißmagischen Künsten selten Gebrauch machte, wußte Amun-Re nicht.
»Warum hast du das getan?« fragte Zamorra klagend und wies auf die Griechin, über die sich der Schatten des Todes senkte. Der Meister des Übersinnlichen erkannte, daß Helena unrettbar verloren war. Für ihre Grausamkeit büßte sie nun mit dem Leben.
»Ich wollte dir nur zeigen, daß ich wußte, wo du dich befandest!« erklärte der Herrscher des Krakenthrons. »Ich hätte dich natürlich auch selbst treffen können – doch dieser Tod wäre zu schnell für dich gewesen. Was kümmert mich das Leben dieser Frau?« beendete er mit einer wegwerfenden Bewegung seine Rede.
Da hörte Zamorra vom Boden eine leise Stimme. Noch einmal schlug Helena von Troja die Augen auf. Zamorra kniete sich zu ihr hinab und hob ihren Oberkörper an. Mit brechenden Augen starrte ihn die Griechin an.
»Zamorra!« flüsterte sie. »Ich habe die Götter angefleht, daß sich unsere Wege noch einmal kreuzen. Und du bist tatsächlich ein Zauberer, wie du es mir beim Fest des Priamos sagtest. So viele Jahre sind vergangen seit dem Tag, da der listenreiche Odysseus jene Kriegsmaschine konstruierte, mit dem die Mauern unserer Stadt zertrümmert wurden. Doch du bist der gleiche geblieben. Das Alter hat dich vergessen. In meinem Gesicht zeigen sich Falten, und mein Haar ergraute. Doch du bist wie damals in den Tagen, als Ilion in Flammen aufging!«
In Professor Zamorra rasten die Empfindungen. Er kannte also die Frau, die als die »schöne Helena« bezeichnet wurde. Damals, als das Fährschiff in die Unterwelt versetzt wurde, stand er dem Geist des großen Ajax gegenüber, der sich an ihm rächen wollte. Und nun wurde Zamorra wieder mit einem Abenteuer konfrontiert, das für
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