0277 - Der Tod hat viele Gesichter
gibt es in New York gar nicht! Ich habe eben alle derartigen Vereine in Gedanken durchgekämmt, aber was wir hier haben, passt zu keinem.«
Wir benachrichtigten unsere Spurensicherungs-Spezialisten, die kurze Zeit später eintrafen.
***
Vierzehn Omnibusse mit dreihundert Männern rollten inzwischen auf verschiedenen Routen durch Manhattan und verschwanden nacheinander in einem Abstand von einer halben Stunde auf einem leeren Hof an der East Side, nicht weit entfernt vom Roosevelt Drive. Wieder durchquerten sie ungehindert die City, deren Nachtleben auch in den frühen Morgenstunden dieses ereignisreichen Tages nicht zur Ruhe kommen wollte. Flimmernder Dunst stieg vom East River herauf und meldete einen heißen Tag an.
Allmählich verlöschten die Lichter, und der unbeschreibliche Organismus dieser einmaligen Riesenstadt stellte sich auf Tagbetrieb um.
Alles wirkte friedlich und alltäglich, und doch lag eine unerklärliche Spannung in der Luft.
***
Phil war am nächsten Morgen noch vor mir im Office und lief unruhig auf und ab, als ich eintrat.
»Nanu, was ist denn mit dir los? Schon am frühen Morgen nervös?«
»Neville ist nicht zum Dienst erschienen«, sagte er nur.
Ich wusste, was das zu bedeuten hatte.
Neville hatte seine Eigenarten, und manches, was er tat, entsprach nicht ganz den Dienstvorschriften. Aber unpünktlich war er nie.
Wenn er sich die ganze Nacht um die Ohren geschlagen hatte, so war er doch pünktlich bei Dienstbeginn zur Stelle oder teilte zumindest mit, wo er war, wenn ihn etwas Wichtiges abhielt.
»Gestern Abend wollte er noch etwas erledigen«, erinnerte ich mich. »Das war vor etwa fünf Stunden.«
»Hat er dir auch etwa nicht gesagt, wohin er wollte?«, fragte Phil.
»Wir müssen sofort zu Mr. High. Neville hat etwas gefunden, was mit 22 dem Bankraub heute zusammenhängt. Los, komm!«
Ich merkte erst nachher, dass wir von dem geplanten Raub, der ja bisher nur eine vage Annahme war, schon wie von einer vollendeten Tatsache sprachen.
Mr. High bot uns Zigaretten an und ließ Kaffee kommen. Einen Whisky hätte ich in diesem Augenblick trotz der frühen Morgenstunde vorgezogen, aber Mr. High ist ein fürsorglicher Boss, und er wusste, was für uns gut war.
Sein Gesicht war ungewöhnlich ernst.
»Wann habt ihr Neville das letzte Mal gesehen?«, erkundigte er sich.
Phil berichtete von unserem nächtlichen Ausflug, und ich ergänzte seinen Bericht. Unser Spurensicherungs-Spezialist Ed Berger hatte zwar seinen Untersuchungsbericht schon vorgelegt, aber Mr. High zog es vor, unseren Eindruck von der Sache zu hören.
»Ed Berger berichtet«, Mr. High suchte in seiner Mappe nach dem richtigen Blatt Papier. »Aha, hier steht es: ›Auf dem Fußboden des großen Raums, in dem der Ermordete lag, fanden wir insgesamt 875 Zigarettenreste. Es waren so gut wir alle gängigen Sorten darunter vertreten‹. Dann folgte die Aufzählung der Marken, der Bericht schließt: ›Aus der Art, wie die Zigaretten geraucht wurden, aus Speichelresten und anderen Anzeichen konnten wir errechnen, dass mindestens einhundertachtzig verschiedene Raucher anwesend gewesen sein müssen. In dem Ascheneimer fanden wir weitere, noch nicht gezählte Zigarettenreste. Die Zahl der angenommenen Personen ist eher zu niedrig als zu hoch eingeschätzt, obwohl ich es für unwahrscheinlich halte, dass sich in einem Raum so viele Personen aufgehalten haben sollen. Vielleicht waren nicht alle gleichzeitig anwesend.‹«
Mir hatte es die Sprache verschlagen. »Ja, Chef, wir hatten zwar nur auf mindestens fünfzig Leute getippt, aber Ed kann durchaus recht haben. Die Bude sah wie ein Schweinestall aus. Aber woher kamen die Leute, und wer waren sie?«
Mr. High zuckte die Achsel. »Sagte Neville nichts dazu?«, fragte er dann.
»Er stellte nur fest, dass es sich um eine riesige Gang handeln müsse, die er nicht kennt. Und Neville kennt doch jede Gang, die einigermaßen von sich reden gemacht hat.«
Eine ganze Weile schwiegen wir alle drei. Dann trat Mr. High an die große Stadtkarte, die fast eine ganze Wand in seinem Office einnahm. Er deutete auf eine Stelle in der Nähe der verlängerten Dyer Avenue, von der aus man direkt in den Lincoln Tunnel gelangen kann.
»Wir kommen einfach nicht weiter, wenn wir uns nicht den ganzen bis-'' herigen Ablauf der Dinge vor Augen halten und versuchen, dabei auf alle Kleinigkeiten zu achten. Also: Hier in der 38. Straße, nicht allzu weit entfernt vom Times Square, versucht Worringer, uns
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