0279 - Der Herr der Unterwelt
musterten mich von oben bis unten.
»Kleines Bad genommen?« fragte der Größere.
»Darüber können wir später reden, Sergeant. — Waren Sie in der alten Werft?«
Er nickte ‘und zeigte mit dem Daumen auf den alten Mann.
»Der Mister hier hat uns alarmiert. Das Haus dort hinten gehört ihm. Er sagt, er hätte von seinem Anlegesteg aus geangelt, als die Schüsse fielen. Während er zum nächsten Telefon unterwegs war, wurde er von einem Wagen überholt, aber er kann uns nicht sagen, was für ein Auto es war. Wir haben in der alten Werft nichts von Bedeutung gefunden. Ich dachte schon, der Mister hier hätte zuviel Phantasie, aber du bist immerhin ’ne ziemlich überraschende Begegnung, mein Junge. Erzähl uns mal ein bißchen von dir.«
Ich trat näher an den Sergeant heran.
»Darüber werde ich mich mit Ihren Vorgesetzen unterhalten, Sergeant.«
Er zog die Augenbrauen hoch.
»Ich glaube, das kannst du haben.« Er tippte mit dem Finger auf die Schulterhalfter, die ich noch trug. »Für Leute, die mit solcher Ausrüstung herumlaufen, interessieren sich unsere Chefs immer.« Sein Daumen zeigte auf den Streifenwagen.
»Steig ein, alter Freund. — Jim, halte den Jungen gut im Auge. Er sieht aus, als wäre ihm ’ne Menge zuzutrauen.« Jim, der andere Cop, stieß mich wenig sanft zum Fahrzeug.
»Zum Henker«, knurrte er, »der Knabe versaut uns den ganzen Wagen.«
***
Die Schlüssel klirrten. Die Zellentür wurde geöffnet. Ein untersetzter Mann mit grauem, kurzgeschnittenem Haar trat ein. Er gab mir die Hand.
»Ich bin Charles McDraw«, sagte er und setzte sich auf die Pritsche. »Sie haben Pech gehabt, Cotton?«
Der FBI-Chef von Chicago hatte helle durchdringende Augen. Ich kann nicht behaupten, daß er mich besonders freundlich ansah.
»Ich habe meine Lektion erteilt bekommen«, sagte ich, »und ich hatte Glück, daß sie nicht so böse ausging wie im Falle Ted Carsten. — Mr. McDraw, haben Sie eine Zigarette für mich? Die Cops waren zwar nett genug, mir trockene Klamotten zu geben, aber Zigaretten rückten sie nicht heraus.«
Wortlos reichte mir McDraw eine angebrochene Camel-Packung und ein Feuerzeug. Er wartete, bis ich mir eine Zigarette angezündet hatte.
»Wie lange wollen Sie sitzen, Cotton?«
»Höchstens eine Woche! Noch etwas, Mr. McDraw! Kümmern Sie sich um Kitty Welson. Falls Ihre Leute sie finden, lassen Sie sie festnehmen. Es kann leicht unter dem Vorwand geschehen, daß die Frau und ich in der vergangenen Nacht im Ranger Club gesehen worden sind und daß wir den Klub zusammen verlassen haben.«
McDraw zog die Augenbrauen hoch. Dann nickte er.
Der Chef des FBI-Distriktes Chicago stand auf. Ich hielt ihn jedoch zurück.
»Haben Sie eine Nachricht von meinem Freund Phil?«
McDraw nickte abermals.
»Ja, er hat Anschluß an eine kteine Gang gefunden. Wir suchen nach einem Weg, ihn wissen zu lassen, daß er bei dem kleinen Verein keine Aussicht hat, auf James Breadcock zu stoßen.«
»Falls ich ihm begegne, werde ich es ihm sagen.«
Charles McDraw verzog ein wenig den Mund. Es war nur die Andeutung eines grimmigen Lächelns. Anschließend ging er.
***
Sie trieben das Spiel so gründlich, daß ich von diesem Augenblick an nicht einmal mehr einen G-man zu Gesicht bekam, nur Cops der Chicagoer City Police. Sie drehten mich durch ihre Verhörmaschine, und an dem Schalttisch der Maschine saß Lieutenant Jack Raft, ein Kerl wie aus Eiche geschnitzt. Gleichgültig, ob wir allein waren oder ob er mich in Gegenwart anderer Polizisten vernahm, immer behandelte er mich als Gangster. Er tat es mit solchem Ernst, daß ich nicht wußte, ob McDraw ihn von meiner G-man-Identität informiert hatte oder nicht.
Als er mich am neunten Tag holen ließ, fand ich im Vernehmungszimmer nicht nur den Lieutenant und zwei Sergeants, sondern aui einem Stuhl auch Kitty Welson, von der der Lack abgeblättert war wie von einer alten Hausmauer. Sie sah miserabel aus, aber es genügte ein Blick auf ihren zusammengepreßten Mund, um zu erkennen, daß sie entschlossen war, nicht aufzugeben. Als sie mich sah, erschrak sie, behielt aber ihre starre Haltung bei.
»Kennen Sie die Frau?« fragte Lieutenant Raft und leckte sich die Lippen. Ich zuckte die Achseln.
»Lieutenant, ich sage weder ja noch nein. Wissen Sie, ich bin manchmal benebelt, wenn ich Damenbekanntschaften mache und kann mich später nie mit Sicherheit an die Gesichter erinnern.«
»Gib ihm einen Stuhl, Jim!« befahl, Raft einem der Cops.
Jim
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