0279 - Der Herr der Unterwelt
bedeutet?«
Ich hielt den Blick auf die Frau gerichtet. So, wie dieser Film ablief, mußte sie glauben, daß ihr Schicksal in meiner Hand lag. Es genügte, den Namen James Breadcock auszusprechen, auf sie zu zeigen und zu erklären, sie hätte mich zu ihm gebracht, und die Cops hätten sie nicht mehr aus den Händen gelassen, bis Breadcock gefangen war.
Sie erwiderte meinen Blick nicht. Sie hielt den Kopf starr geradeaus gerichtet.
»Antworten Sie, Calligan!« sagte Lieutenant Raft.
Ich drückte den Zigarettenrest aus.
»Lieutenant, für einen Polizisten haben Sie einfach zuviel Phantasie. Ich gebe zu, Sie haben einiges herausbekommen, aber die Schlüsse, die Sie daraus ziehen, sind hirnverbrannt. Okay, ich war im Thousand Stars Club, und ich habe mit Chicagos Kanonenbossen gesprochen, aber sie haben mir nicht einen Killerauftrag gegeben, sondern mich rausgeworfen. Okay, ich war am anderen Abend im Ranger Club. Ich weiß nicht, womit Sie sich Ihre Abende vertreiben, Lieutenant. Ich vertreibe sie mir ganz gern in einem Nachtlokal, in dem ein bißchen los ist. — Okay, ich habe der Lady an meiner Seite ein paar Drinks spendiert. Vielleicht gefiel sie mir. Wir sind zusammen abgezischt. Ich war in ihrer Wohnung, und wir sind uns in die Haare geraten. Wahrscheinlich hatten wir beide zuviel getrunken. Wir haben uns wieder vertragen und haben ’ne kleine Spazierfahrt gemacht, um uns den Kopf auszulüften. Das ging leider wieder nicht gut. Wir bekamen zum zweitenmal Krach miteinander. Ich glaube, es kam daher, weil sie New York ein lausiges Drecknest nannte, und auf meine Heimatstadt lasse ich nichts kommen. Sie brachte mich so in Rage, daß ich ihr eine knallte. Das machte sie fuchtig. Sie schleppte ’ne Spielzeugkanone mit sich herum, holte das Ding aus ihrer Handtasche und schoß. Sie können sich vorstellen, Lieutenant, daß ich einen mächtigen Schreck bekam, als sie plötzlich ’ne Kanone in den zarten Fingern hielt, wenn es auch nur ein kleines Ding war. Ich wurde vor Schreck schlagartig nüchtern, und das war verdammt schade, denn die Preise für Whisky im Ranger Club sind unverschämt hoch. Darum sollten Sie sich mal kümmern, Lieutenant. Es ist glatter Wucher. — Ich kippte vor Schreck hintenüber, und da wir den Wagen verlassen hatten, um am Rand der Straße spazierenzugehen, kippte ich in den Schilfsumpf hinein, und als ich drinlag, dachte ich, daß es eine leidliche Deckung wäre, und krabbelte noch weiter hinein. Erst als ich tief in dem Matsch steckte, kam ich auf den Gedanken, das Schießeisen in ihrer Hand könnte vielleicht nur eine Schreckschußpistole gewesen sein, aber da war es zu spät. Ich mußte Zusehen, wie ich aus dem Sumpf wieder herauskam. Sie hingegen kümmerte sich nicht um mich, sondern setzte sich in meinen Wagen und fuhr einfach in die Stadt zurück. Das war doch gemein von ihr, Lieutenant, he? Finden Sie nicht auch? Wenn Ihre netten Polizisten nicht gekommen wären, so hätte ich den ganzen Weg zu Fuß machen müssen.«
Lieutenant Rafts Gesicht hatte sich während meiner Story dunkelrot verfärbt.
»Sie hat also auf dich geschossen, Calligan?« fragte er leise.
»Ja, aber es war bestimmt nur eine Schreckschußpistole, und selbst wenn es eine richtige Kanone gewesen sein sollte, so will ich keine Anzeige gegen sie erstatten. Ich habe mich nämlich auch nicht so besonders fein benommen. Schließlich war es meine Schuld, daß sie in Rage geriet.«
Lieutenant Raft explodierte wie ein durchgegangener Kernreaktor.
»Jim«, brüllte er, »schaff mir diesen verlogenen Kerl aus den Augen!«
Sergeant Jim riß den Stuhl unter mir weg, packte mich am Kragen und zerrte mich von der Bühne.
So verlief meine vorletzte Begegnung mit Lieutenant Raft. Die letzte fand vierundzwanzig Stunden später statt, und diesmal waren der Lieutenant und ich allein im Raum.
»Ich nehme an, daß Sie bei Ihren Aussagen bleiben, Calligan?« fragte er.
»Ich bleibe immer bei der Wahrheit«, antwortete ich.
»Da wir keine Gegenbeweise vorliegen haben, muß ich Sie auf freien Fuß setzen. Ihren Wagen und Ihre Kleider erhalten Sie zurück.«
»Keine Auslieferung nach New York, Lieutenant?«
»New York teilte uns mit, daß kein Haftbefehl gegen Sie vorliegt.«
»Großartig! Wann kann ich gehen?«
»Sofort!«
Er unterschrieb einen Entlassungsbefehl und schob ihn mir über den Schreibtisch zu.
»Ihre Freundin Kitty Welson entlasse ich in etwa einer Stunde«, sagte er. »Falls Sie sie abholen wollen!«
Ich
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