0280 - Turm der weißen Vampire
Vampire schon so sehr gewöhnt, daß sich ihre Angst nicht mehr Luft zu verschaffen brauchte.
Schritt für Schritt wankte sie zurück. Ihr Körper war dabei steif, nur die Beine bewegten sich, und in den Knien federte sie ein wenig nach. Der Vampir blieb stehen. Er traute sich nicht in die Kirche hinein, aber Ruth würde auch nicht aus dem Gotteshaus rauskommen, wenn die Vampire die Eingänge und Fluchtwege weiterhin besetzt hielten.
Genau dort, wo die Bankreihen begannen, blieb sie stehen und drehte sich um.
Sie schaute zum Altar hin. Durch den Tränenschleier vor ihren Augen sah sie das Kreuz nur verschwommen, die Vampire an der Seite dafür sehr genau.
Sie winkten ihr zu.
Mit einer fahrigen Geste wischte sie über ihre Augen. Der Tränenschleier verschwand, und auch ihre Angst war nicht mehr so stark, so daß sie begann, über ihre Lage näher nachzudenken und nach Auswegen aus der Situation zu suchen.
Bisher waren die Vampire stumm geblieben. Auch von den getöteten Wesen hatte sie nur grunzende oder fauchende Laute vernommen. Um so überraschter war sie, daß die gefährlichen Blutsauger plötzlich reden konnten.
Es waren die beiden an der Seitentür, die sprachen. Und sie lockten die Frau. »Komm näher zu uns«, sagten sie zur gleichen Zeit. »Wir wollen dir etwas sagen.«
»Nein!« erwiderte Ruth und versteifte sich. Sie fixierte dabei das Kreuz, denn sein Anblick gab ihr Kraft. Es war die Hoffnung, das hatte auch der Mönch gesagt.
»Wir werden dir nichts tun«, sagten sie wieder zur gleichen Zeit.
»Wir wollen nur, daß du zu uns kommst.«
»Und dann?«
»Sagen wir dir etwas.«
»Was?«
»Komm erst her. Es handelt sich um deinen Vater, soviel können wir dir verraten…«
Ruth Thompson zuckte zusammen. Die Blutsauger schienen genau zu wissen, daß sie sehr empfindlich war, wenn es um Dinge ging, die sich mit ihrem Vater beschäftigten. Auch die Vampire hatten die Reaktion der Frau mitbekommen. Ihre weißen Gesichter zogen sich zu einem Grinsen in die Breite.
»Kommst du jetzt…?«
»Was ist mit meinem Vater?«
»Wir sagen es dir.«
Ruth schaute sie an, drehte den Kopf und blickte auch zu dem weißen Vampir am Haupteingang. Noch fühlte sie sich relativ sicher, denn die Blutsauger trauten sich nicht in die Kirche hinein; diese Hemmschwelle war einfach zu groß.
»Was habt ihr mit meinem Vater gemacht?« fragte sie flüsternd. »Redet, ich muß und will es wissen.«
»Er liegt im Turm.«
»Das weiß ich. Und?«
Der Vampir mit der langen Heugabel verzog sein Gesicht.
»Möchtest du nicht mit ihm sprechen? Du bist schließlich seine Tochter!«
Auf Ruths Gesicht breitete sich Unbehagen aus. Ihre Haare schienen plötzlich zu knistern, und über ihren Rücken rann es kalt.
»Ich soll mit meinem Vater reden?« fragte sie zurück. Dann lachte sie schrill. »Mein Vater ist tot, gestorben durch euch Bestien…«
Bevor sich Ruth in einen Wutanfall hineinreden konnte, fragte der Vampir mit der Eisenstange in der Hand:
»Weißt du das genau?« Während dieser Worte wippte er die Stange im Takt.
»Natürlich. Man hat es mir…«
»Gesagt, nicht wahr? Aber du hast dich nicht selbst davon überzeugen können.«
»Nein, das nicht.«
»Dann tu es. Geh zum Turm, denn dein Vater hat eine Botschaft für dich, Ruth!«
»Ein Toter redet nicht mehr!«
Die Vampire schüttelten die Köpfe. »Er ist nicht tot. Nicht alles, was so aussieht, ist auch wirklich nicht mehr am Leben. Auch wir Vampire werden als Tote bezeichnet, was aber gar nicht stimmt, wie du eigentlich wissen solltest.«
»Dann ist er ein…« Ruth schluckte. Sie wagte das Wort kaum auszusprechen, und Schwindel überkam sie.
Die Blutsauger lachten. »Möglicherweise ist er ein Vampir. Aber davon solltest du dich besser überzeugen. Du kannst es, wenn du mit uns zum Turm kommst.«
Ruth Thompson brauchte Zeit, um sich zu erholen. Sie atmete flach und schnell. In ihrer Kehle spürte sie ein Kratzen. Wenn das stimmte, was ihr die Blutsauger da berichteten, konnte sie vielleicht noch mit ihrem Vater reden…
Aber mit einem Vampir?
Sie schüttelte sich, als sie daran dachte. Nein, wenn ihr Vater tatsächlich lebte und ein Blutsauger war, dann würde er auch auf seine Tochter keine Rücksicht nehmen. Er wollte Blut, und es war ihm egal, wo er es herbekam.
Daran dachte die Frau, und sie sprach es auch aus, doch sie stieß bei den weißen Blutsaugern auf Widerspruch.
»Er wird dir nichts tun. Er will nur mit dir sprechen. Daran solltest
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