0280 - Wir und der Mörder ohne Namen
seiner taubengrauen Krawatte.
»Mr. Dale«, stellte ich feierlich fest. »Als ich eben den Namen Dämon nannte, zuckten Sie zusammen und machten ein recht betrübtes Gesicht. Werden auch Sie von diesem Verbrecher erpreßt?« Erschreckend fuhr er auf, hob mit einer abwehrenden Geste die Hände. »Nein, nein! Ich werde nicht erpreßt. Wenn ich wirklich zusammengezuckt bin, dann liegt das an der Furcht, die dieser Dämon verbreitet. Jeder wohlhabende Geschäftsmann in Chicago ängstigt sich. Jeder fürchtet, als nächstes Opfer an der Reihe zu sein.«
Ich war nicht ganz davon überzeugt, daß der Manager die Wahrheit sagte. Aber im Augenblick blieb mir nichts anderes übrig, als wenigstens den Anschein zu erwecken, daß ich seinen Worten glaubte.
»Der Dämon wird nicht mehr lange sein Unwesen treiben, Mr. Dale.«
Er sah mich skeptisch an. Und für einen kurzen Augenblick schien es mir, als verziehe sich sein Mund zu einem höhnischen Grinsen. »Darauf wollen wir trinken, Mr. Cotton.«
Er stand auf und watschelte zur Hausbar. Stehend erinnerte er mich an einen kugeligen Gartenzwerg.
Mit zwei gefüllten Whiskygläsern kam Dale zurück. Er reichte mir eins. Wir prosteten uns zu und tranken. Der Whisky war ausgezeichnet, angenehm blumig auf der Zunge und warm und wohlig im Magen.
Ich setzte mein Glas ab. »Es tut mir leid, daß ich Ihnen noch etwas von Ihrer kostbaren Zeit rauben muß, Mr. Dale. Aber der eigentliche Grund meines Hierseins ist dies.«
Ich griff in die Jackentasche meines Jacketts, zog ein Schriftstück hervor und schob es dem Manager zu.
Dale entfaltete den Bogen und las. »Ein richterlicher Haussuchungsbefehl«, staunte er.
»Nicht ganz. Ich habe nicht die Absicht, das Haus auf den Kopf zu stellen. Aber in Saminales Zimmer hätte ich gern mal einen Blick geworfen. Sie haben dort doch noch nichts verändert? Gut! Also, gehen wir.«
Byran Dale erhob sich und maß mich mit einem seltsamen Blick. Dann ging er vor mir her zur Tür. Als er die Hand zur Klinke ausstreckte, sagte er: »Wir müssen die Treppe hinauf. Der Mestize wohnte ganz oben im 4. Stock, unter dem Dach.«
***
Ein vierstöckiges Gebäude ohne Fahrstuhl gehört in Chicago schon beinahe zu den Seltenheiten.
Der Manager und ich stiegen die Treppen bis zur oberen Etage empor. Hier war es stockfinster.
Dale schaltete die Flurbeleuchtung ein, ging schweigend bis zu einer Tür am Ende des Ganges, zog ein umfängliches Schlüsselbund aus der Hosentasche und öffnete.
Ich trat hinter ihm in den großen, einfach möblierten Raum, dessen Fenster von einer Jalousie verdunkelt wurde. Das Auffälligste waren die zahlreichen Fotografien an den Wänden.
Sie zeigten Artisten bei der Arbeit. Am häufigsten war Saminale abgebildet. In die Kriegstracht einer Rothaut gehüllt, schwang er lange Messer und warf damit nach verschiedenartigen Zielen: dünnen Seilen, Spielkarten und Tuchfetzen.
»Meines Wissens hatte Saminale eine Partnerin bei seinen Auftritten?« wandte ich mich an Dale.
Er deutete stumm auf ein großes Foto in der Nähe des Fensters. Ich betrachtete es eingehend. Außer Saminale war darauf eine bildschöne junge Frau abgebildet, die man auf einer rotierenden Holzscheibe festgeschnallt hatte. Nach ihr warf Saminale seine gefährlichen Messer. Auf dem Foto steckten bereits zwei der langen Klingen rechts und links ihres Halses in der Holzscheibe.
Während der nächsten zehn Minuten durchfilzte ich das Zimmer nach allen Regeln der Kunst. Ich ging gründlich vor, untersuchte jedes Fleckchen, das als Versteck geeignet gewesen wäre, fand aber nichts. Der Manager sah mir mit unbewegtem Gesicht zu.
Falls hier jemals etwas existiert hatte, das auf den Dämon hin wies, so war es jetzt sicherlich nicht mehr vorhanden. Dafür würde Dale schon gesorgt haben.
Daß er mit dem Dämon identisch war, traute ich dem Dicken allerdings beim besten Willen nicht zu.
Was für eine Rolle spielte er in diesem gefährlichen Stück? Ich hoffte, nicht mehr lange im dunkeln zu tappen.
Nach erfolgloser Suche sagte ich dem Manager, daß ich die ehemalige Partnerin des Mestizen zu sprechen wünsche.
Er bedachte mich mit einem kalten Blick. »Bitte sehr. Bis zum Auftritt von Bella Catalina ist noch eine halbe Stunde Zeit. Ich…«
»Bella Catalina? Ist das nicht die Tänzerin?«
»Allerdings! Sie hat bei mir einen doppelten Job, einmal als Tänzerin, und zum anderen trat sie als Partnerin des Mestizen auf. In Wirklichkeit heißt sie Catherine Winter.«
Wir
Weitere Kostenlose Bücher