0285 - In den Tiefen von Loch Ness
Joanna. »Du Scheusal… Schreckst nicht einmal davor zurück, deine eigene Tochter zu verkaufen… Bestie…«
Das traf ihn härter als alles andere. Scheusal… Bestie… und die lange verdrängten Bilder aus der Vergangenheit stiegen wieder vor ihm auf. Scheusal und Bestie hatte das Ungeheuer von Loch Ness ihn damals genannt… Ihn, Sir Glenn MacRaven! Und dann war der Fluch gekommen…
Sir Glenn zitterte. War er nicht wirklich ein Scheusal und eine Bestie? Hatten sie nicht alle recht, die es behaupteten?
Joanna MacRaven sah sein Zittern, deutete es aber anders.
An Melissa Stuart dachte in diesem Moment keiner von ihnen.
***
Melissa Stuart, das Skelett, bewegte sich unerkannt durch Raven’s Castle. Niemand wußte, daß sie umgewandelt war, niemand hatte sie vermißt, weil jeder wußte, daß sie einen tiefen Schlaf hatte. Deshalb glaubte jeder, sie hätte die Schreie einfach überhört und weitergeschlafen.
Dem war nicht so.
Eine dämonische Schläue beherrschte sie. Sie schlich sich durch unbeleuchtete Korridore und wartete ab. Erst mußte wieder Ruhe einkehren. Die Menschen in Raven’s Castle mußten sich sicher fühlen.
Daß das andere Skelett vernichtet worden war, wußte sie längst. Sie hatte das Erlöschen der anderen Gedanken gespürt. Sie konnte darüber weder Befriedigung noch Haß empfinden. Es war ihr einfach vollkommen gleichgültig. Sie wußte nur, daß sie den Auftrag erfüllen mußte, der auch MacRoys Aufgabe als Skelett gewesen war.
Die Festung Raven Castle mußte fallen! Und zum Schluß mußte Sir Glenn dem Ungeheuer in die Hände gespielt werden! Er war der einzige, der nicht zum Skelett werden durfte. Auf ihn wartete die Rache des Ungeheuers aus dem See.
Das war alles.
Zäh tropfte die Zeit dahin. Aber das Skelett Melissa Stuart kannte keine Ungeduld mehr. Das Gefühl für die Zeit war mit ihrem menschlichen Leben von ihr abgefallen.
Sie wartete mit der Geduld der tiefsten Hölle.
***
Leonardo deMontagne erkannte Zamorras ersten Gegenschlag, aber er wurde nicht völlig aus dem Verhalten des Parapsychologen klug. Er mußte näherkommen, um ihn besser ausloten zu können. Und so wechselte der Montagne in die Nähe des Geschehens.
Leonardo deMontagne, der Mann, den selbst die Hölle nicht mehr hatte haben wollen…
Flankiert von einer Horde seiner Skelettkrieger stand er am Berghang und sah in die Tiefe, sah unter sich Raven’s Castle und noch weiter unten die glitzernde Wasserfläche von Loch Ness.
Leonardo begann de Geduld zu verlieren. Er wollte die Entscheidung erzwingen. Noch in dieser Nacht.
Für seine Skelett-Krieger war Raven’s Castle nur schwer zu erobern, und zudem waren da noch andere Dinge zu bedenken. Also peitschte Leonardo mit seinen Gedankenbefehlen die Kreatur hoch, die er geistig unterjocht hatte.
Und abermals stieg Nessy, das' Monster, aus der Seetiefe empor…
Professor Zamorra legte das Amulett vor sich auf den Tisch und starrte es finster an. Er würde aus dem Verhalten der Silberscheibe nicht klug. Ihm war, als führe Merlins Stern ein eigenes Leben. Aber konnte ein Stück metallischer Substanz, einst von Merlin geformt aus der Kraft einer entarteten Sonne, wirklich ein solches Eigenleben führen und selbst Entscheidungen treffen, auch gegen den Willen seines Besitzers und Lenkers?
»Was hast du vor, Chef?«, fragte Nicole.
Sie befanden sich wieder in dem Zimmer, das Roderick ihnen gegeben hatte und Von dem aus Zamorra den finsteren Keim gelöscht hatte, bevor das Amulett ihn selbst angriff. Zamorra zog einen Stuhl an den Tisch heran und ließ sich davor nieder. »Papier und einen Stift bitte«, verlangte er.
Nicole sah sich um. Woher sollte sie das Verlangte nehmen? Da sah sie den kleinen Sekretär in einem Winkel des Zimmers stehen. Offenbar war man in Raven’s Castle sehr gut auf Gäste mit höheren Ansprüchen eingerichtet; es konnte kein Zufall sein, daß ausgerechnet dieses Gästezimmer so eingerichtet war. Nicole öffnete den Sekretär und fand Papierbögen, Tintenfaß und Federkiel.
»Wie romantisch«, murmelte Zamorra, tauchte die Feder ein und beschrieb einen der Bögen mit geschwungenen Wörtern. Dann reichte er Nicole das noch tintenfeuchte Papier.
Nici, Schatz, ich liebe dich! Z, stand darauf.
Nicoles Augen weiteten sich überrascht. Dann sah sie Zamorra an. »Chef, weißt du, daß das der erste Liebesbrief ist, den du mir schreibst?«
»Natürlich weiß ich das«, lächelte Zamorra. »Bisher hatte ich ja niemals Zeit dazu.« Er
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