0289 - Kassandras Tiefseefluch
gehen höchstens das Risiko ein, daß sie uns ebenfalls erwischen.«
»Aber was können wir tun? Sollen wir zusehen, wie sie mordend über die Menschen herfallen? Und abgesehen davon - das wird ein Schneeball-Effekt! Irgendwann sind es ein paar tausend von ihnen, die uns dann jagen…«
»Erst einmal brauchen wir die Pause«, sagte Thomas. »Und während dieser Pause können wir uns etwas überlegen.« Er ließ sich da, wo er stand, ins Gras nieder.
Violet zögerte. »Wir sollten einen Wachtposten aufstellen. Einer von uns sollte ständig die Augen offen halten.«
»Du hast zu viele Abenteuerromane gelesen«, widersprach Irina und hustete erneut. »Was würde es uns nützen? Wir könnten ihnen doch nicht davonlaufen… und gegen sie kämpfen? Wie denn?«
Mit Feuer, durchzuckte es Thomas. Im Feuer würden sie verbrennen. Vielleicht reichte sogar jetzt schon, in diesem Moment, ein Steppenbrand, in dem die Zombies umkamen… der Wind stand günstig…
Aber neben diesen beiden Untoten gingen dann auch all die Tiere zugrunde, die hier ihren Lebensraum hatten. Und… wenn sich der Brand ausdehnte, unkontrollierbar wurde und auch die Häuser der Menschen verschlang?
Langsam griff Thomas in die Hosentasche.
Aber die Streichholzschachtel war zerstört. Durchnäßt, waren die Hölzer dann gequetscht worden, der Schwefel abgerieben. Damit ließ sich kein Brand mehr entfesseln. Thomas war dem Gewissenszwang auf höchst einfache Weise enthoben worden.
Aber dennoch konnten sie nicht nur einfach zusehen…
***
In der Tiefe kontrollierte Kassandra jetzt immer mehr Sklavenwesen. Die beiden Untoten waren das bevorzugte Ziel ihrer Aufmerksamkeit, aber nebenher reiften noch vier weitere Kraken heran. Riesenkreaturen wie der erste, die durchaus in der Lage waren, kleinere Schiffe zu zerstören. Aber hier ging Kassandra vorläufig nur auf Sicherheit. Sie wollte nicht auf Dauer in der Tiefe bleiben, sondern aufsteigen und an Land gehen. Danach würde sie die Kraken nicht mehr unbedingt brauchen. Aber sie rechnete damit, daß sie durch irgend einen unvorhergesehenen Zwischenfall bedroht werden konnte. Dann war es gut, die Kraken als Wächter um sich zu haben, solange sie sich noch in der Tiefe befand.
Sie prüfte immer wieder die beiden Untoten auf der Insel. Daß beide über kriminelle Anlagen verfügten, berührte sie nicht. Es machte ihr nur leichter, sie einzusetzen, weil es ihrem Naturell entgegenkam. Daß sie darüber längst tot waren, machte nichts aus. Gewisse Grundstrukturen hafteten immer noch. Die Veranlagung zum Verbrechen stärkte nur die Skrupellosigkeit der Zombies. Und in einem, dem zuletzt getöteten, der sich Paolos hatte nennen lassen, schwelgte auch noch der Wahnsinn. Sein Verstand hatte den Überfall des Kraken nicht verkraftet, und er hatte unkontrolliert gehandelt, dachte weniger nach als früher und ließ sich daher auch zu unlogischen und unbedachten Handlungen hinreißen - die Notzucht an den Mädchen, seine unverständliche Bewegung über die Insel… die Veranlagung zum Wahnsinn befand sich jetzt auch in dem Zombie, und Kassandra wußte, daß sie mit diesem Sklaven nicht recht glücklich werden würde. Sie mußte ihn häufiger überwachen als Stavros, um zu verhindern, daß er abermals unkontrollierbare und widersprüchliche Dinge tat.
Aber - diese beiden waren ja erst der Anfang.
Kassandra spürte eine Veränderung an der Oberwelt. Etwas geschah. Ein Hauch von Zukunftssicht war noch da, aber sie konnte nicht erkennen, was sich da veränderte. Ob es Gefahr bedeutete oder in ihrem Sinne war…
Sie mußte es abwarten.
Und sie träumte von der Macht.
Sie träumte von Troja, der brennenden Stadt. Sie würde Troja wieder aufbauen lassen, prachtvoller als jemals zuvor, und in dem neuen Troja würde sie regieren wie nie ein Herrscher vor ihr.
In einer Zukunft, die sie nicht mehr sehen konnte. Aber hatte sie nicht schon damals beim Angriff der Griechen ihre eigene Zukunft nicht mehr sehen können, als Hekate von ihr Besitz ergriff?
Kassandra kicherte. Ihren eigenen Wahnsinn nahm sie nicht einmal wahr. Und sie lauschte den seltsamen Klängen ihrer Stimme, die von dem Wasser weitertransportiert wurden und auf unnatürliche Weise verzerrt wieder zurückkehrten. Ihre Lippen formten Wörter.
»Hekate und alle in ihr vereinigten Götter - sie gibt es nicht mehr«, kicherte Kassandra schrill. »Aber Kassandra wird ewig existieren und länger herrschen als selbst die Götter… im neuen Troja, der
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