0289 - Kassandras Tiefseefluch
explodierten Yacht waren längst gesunken und völlig unter der Wasseroberfläche verschwunden. Vielleicht lagen sie nur ein paar Meter tief. Aber oberflächlich deutete nichts mehr darauf hin, welche Katastrophe sich vor einigen Stunden hier abgespielt hatte.
Vor wie vielen Stunden? Thomas wußte es nicht. Keiner von ihnen trug eine Uhr. Sie hatten darauf verzichten wollen, ständig die Minuten zu zählen, und der Tag fand einfach sein Ende, wenn es dunkel wurde, und der neue Tag begann mit dem Morgengrauen.
Die Armbanduhren waren mit der Yacht gesunken.
So wußte Thomas auch nicht, wie lange er besinnungslos gewesen war. Die Mädchen konnten ihm auch nicht weiterhelfen. Sie hatten durch den Schock ihr Zeitgefühl verloren! Es konnten fünf, aber auch sechs Stunden sein, daß die Yacht zerstört wurde. Vielleicht noch länger…?
Etwas bewegte sich. Ein dunkler Punkt auf dem Wasser.
»Schaut mal«, murmelte Thomas. »Was kann das sein?« Irina und Violet sahen hinüber.
»Ein Schwimmer?«
Sie warteten erstaunt ab. Der Punkt näherte sich von der offenen See her, wurde allmählich größer. Da schwamm tatsächlich jemand! Er zielte auf eine Stelle, gut einen halben Kilometer vom Standort der Gestrandeten entfernt und erreichte das Ufer. Sobald er Grund unter den Füßen fand, begann er zu gehen.
»Wer mag das sein? Wer macht denn hier zu nächtlicher Stunde Schwimmversuche?«
Der Schwimmer mußte die drei auf dem Hügel gesehen haben. Für ihn mußten sie sich als schwarze Umrisse vor dem dunkelblauen Himmel abheben. Aber er beachtete sie nicht.
»Das ist doch komisch… das sollten wir uns mal ansehen. Ich will wissen, wer das ist«, sagte Thomas.
Irina hakte sich bei ihm ein. »Sehen wir nach«, sagte sie. Auch Violet schloß sich an - warum sollte sie allein zurück bleiben? Damit gewann sie nichts. Und wenn der unbekannte Nachtschwimmer ein Inselbewohner war, konnte er sie zu seinem Dorf führen. Dort fanden sie Hilfe.
Der Fremde bewegte sich jetzt zügig nordwärts, schräg ins Landesinnere hinein, ohne seine Verfolger zu beachten. Plötzlich stutzte Violet.
»In dieser Richtung ist auch Paolos gelaufen«, sagte sie. »Das muß seine Spur sein.«
»Aber wer ist dieser Mann? Paolos bestimmt nicht…«
Sie holten langsam auf. Sehr langsam, weil der Fremde ein beachtliches Tempo vorlegte. Und Thomas wie auch die Mädchen waren nicht mehr die Kräftigsten.
»Die Art, wie er sich bewegt… das habe ich doch schon einmal gesehen«, brummte Thomas. »Und das ist noch gar nicht lange her… aber das ist doch unmöglich!«
Violet begriff als erste. »Du meinst…?«
Thomas nickte. »Ich bin sicher. Das ist Stavros!«
***
Paolos hatte sich Zeit gelassen. Zum einen war er ermattet, zum anderen wußte er, daß ihn so bald niemand verfolgen würde. Und selbst wenn - wer wollte ihm denn etwas anhaben?
Er wußte in groben Zügen, wo sich eine Ansiedlung befinden mußte. Dorthin lenkte er seine Schritte, aber er ließ sich sehr viel Zeit. Nichts und niemand trieb ihn. Irgendwie fühlte er sich sogar in Urlaubsstimmung. Das Entsetzen des Kraken-Überfalls war vorüber, er hatte sich auf seine Weise abreagieren können - und jetzt war er frei. Kein Arbeitgeber, kein Auftragerteiler hinter ihm, der ihn drängte, sich mit irgend einer Tütigkeit zu beeilen… für eine Weile war er sein eigener Herr. Und er würde Limnos sehr rasch wieder verlassen und untertauchen können. Dann sollte ihn dieser deutsche Jüngling mal suchen…
Zwischendurch machte er immer wieder Pausen, genoß die Nacht unter griechischem Sternenhimmel und freute sich, die Katastrophe überlebt zu haben. An die anderen drei dachte er kaum noch. Was er getan hatte, verdrängte er aus seiner Erinnerung, so wie er versuchte, den Untergang der Yacht und den Tod von Stavros, durch den Riesenkraken… zu verdrängen.
Plötzlich sah er in der Ferne, daß ihm jemand auf seiner Spur folgte.
Ein einzelner Mann…? Thomas Oelschläger schied aus. Der würde nicht allein kommen, weil er zu ritterlich war, um die beiden Studentinnen allein zu lassen. Aber wer war es dann? Einer der Menschen der Insel?
Paolos beschloß, die Annäherung des Unbekannten abzuwarten. Er hatte ja Zeit. Ob er bei Morgengrauen oder ein paar Stunden später im nächsten Dorf eintraf, spielte doch keine Rolle. Also setzte er sich ins Gras und ließ den einsamen Wanderer näher kommen. Er fragte sich allerdings, was der so allein zu später Nachtstunde hier tat.
Näher und
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