0289 - Kassandras Tiefseefluch
Druck-Tiefe!
Dreißig Meter mußten es wenigstens sein. Die überstand er nicht so einfach.
Er glitt durch das Trümmerfeld ins Innere des morschen Schiffes. Einige kleine Fische bewegten sich hektisch vor ihm hin und her. Es wimmelte hier von pflanzlichen und tierischen Leben. Eigentlich paradox in diesem Schiff des Todes…
Da lag ein Skelett in einer trojanischen Rüstung. Dort ein anderes, nackt. Die Reste der Kleidung waren längst zerfallen. Zamorra bewegte sich weiter vorwärts. Wo mochte Kassandra sein?
Er mußte sie unschädlich machen…
Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter.
Ist Ted auch hier unten? fragte er sich erstaunt, drehte sich und sah in das wahnzerfressene Gesicht Kassandras.
***
Ted Ewigk und Nicole erreichten die SAMOS und kletterten nacheinander an Bord. »Wo ist Zamorra?« fragte die Französin besorgt. »Hast du ihn allein unten gelassen?«
Ted Ewigk preßte die Lippen zusammen. Er wagte nicht anzudeuten, daß er selbst den Freund für tot hielt. Niemand konnte so lange ohne Atemluft unter Wasser bleiben.
»Wir haben uns getrennt«, sagte er. »Er sucht das Schiff, ich lenkte die Kraken ab. Ich glaube, ich konnte sie… schrumpfen lassen.«
»Die Kraken? Das ist nicht nur einer? Oh, gütiger Himmel!« stieß Nicole hervor.
»Ich habe drei gezählt. Unsere beiden und deiner. Aber die dürften keine Gefahr mehr bedeuten.«
Nicole sah ihn prüfend an. Ted hob unbehaglich die Schultern. Durchschaute sie seine Notlüge? Irgendwann mußte sie die Wahrheit erfahren, aber doch nicht gerade jetzt, in diesem Moment!
Aber Nicole schwieg, und Ted konnte ihre Gedanken nicht lesen. Sie besaß eine Sperre wie auch Zamorra, die sie vor dämonischen Versuchen, ihre Gedanken auszuforschen, schützen sollte. Nur das äußere Bewußtsein ließ sich erfassen. Ted versuchte es bei Zamorra erneut. Aber da war nichts.
Daß die Amulett-Kraft seinen Versuch neutralisierte, ahnte er nicht.
»He, du solltest etwas gegen deine Verletzungen tun«, stellte Ted fest. »Der Krake hat dich böse erwischt. Komm…«
»Blute ich?« fragte sie erschrocken.
Er griff nach ihrem Arm und zog sie unter Deck. »Nein. Verletzungen ist auch übertrieben. Das sind gewaltige Blutergüsse, wo dich die Ränder der Saugnäpfe gepackt haben. Da sollte eigentlich Salbe drauf. Soll ich dir helfen?«
Nicole sah ihn an und nickte dann. Sie wußte, daß er keine anderen Gedanken damit verband als ihr wirklich zu helfen. Sie ließ sich Rücken und Oberarme einreiben. Wo der Krake sie gepackt hatte, tobten jetzt Schmerzen. »Das geht bald vorbei«, sagte Ted. »Warte eine halbe Stunde, dann sind sie zwar nicht weg, aber du spürst nicht mehr so viel. Aber in der kommenden Nacht solltest du auf dem Bauch liegen.«
Sie nickte. Ted verließ die kleine Kabine. Nicole vertauschte den fast zerfetzten Bikini gegen ein T-Shirt und Shorts aus ihrem Mini-Handgepäck und stieg wieder nach oben.
Sie sah, wie Fangarme aus dem Wasser hochschnellten. Ein heftiger Ruck traf die SAMOS und schüttelte sie durch. Nicole hielt sich krampfhaft fest, um nicht über Bord geschleudert zu werden. Ted flog förmlich auf die Steuerbord-Reling zu, konnte sich gerade noch halten - und sein Dhyarra-Kristall flog über Bord.
Er klatschte ins aufspritzende Wasser und versank sofort in der Tiefe.
***
Kassandra erkannte ihn sofort. Für sie, die Schlafende, war ebensowenig Zeit vergangen wie für Zamorra, den Zeitreisenden. Und hier traf sie ihn wieder, in eine leuchtende Aura gehüllt, die ihn vor dem Wasser schützte. Das Licht, das von ihm ausging, schmerzte in ihren Augen, in denen der Wahnsinn loderte.
Sie stöhnte auf, riß ihn herum.
»Zamorra, mein Feind!« schrie sie auf. »Du bist schuld… du raubtest den Machtkristall, der nicht dir zusteht, sondern den Göttern, die sich in Hekate vereinten… du hast mich vernichtet!«
Er wich zurück, überrascht von der Begegnung. Verstand er, was sie ihm durch das Wasser zurief?
Er hatte sie wohl nicht hier, hinter seinem Rücken, erwartet!
Sie wunderte sich, warum sie seine Existenz nicht mit ihrer magischen Kraft fühlen konnte. Sie konnte ihn nur sehen, mehr nicht. Aber das reichte in diesem Falle auch. Sie wußte, daß sie ihn töten konnte.
Und sie wollte ihn töten.
Ihn, den sie einst verflucht hatte, als das Schiff sank und zu ihrem nassen Grab wurde! Hätte er Odysseus nicht beraten und ihm geholfen, nie wäre Troja gefallen, nie hätte Ajax fliehen müssen, nie wäre sein Schiff
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