029 - Der tätowierte Tod
hinweg. In seiner ausgestreckten Rechten blitzte eine gewundene Nadel – und damit spießte er den Teufel mit den drei Köpfen auf.
Namik von den Nadelstechern! Dorian hätte nicht gedacht, daß er sich über ein Zusammentreffen mit ihm so freuen würde. Diesmal hatte er ihm das Leben gerettet.
Der Rothaarige schrie, als er von der Schlangennadel gestochen wurde – und mit dem nächsten Atemzug erstarrte er zur Bewegungslosigkeit. Die junge Frau an seiner Seite versuchte zu flüchten. Aber da war Babek mit den Krummdolchen heran. Sie setzte sich mit Händen und Füßen zur Wehr. Der tätowierte Bestienrachen schnappte nach den Widersachern, aber diese schienen im Umgang mit lebenden Tätowierungen vertraut; ein Nadelstich – und dann traten die Krummdolche in Aktion.
Dorian wandte sich ab, obwohl er wußte, daß der Frau selbst nichts geschah – im Gegenteil, sie wurde von dem Dämon Srasham befreit. Namiks Gesicht tauchte vor ihm auf.
»Danke! Ihr …«
Weiter kam Dorian nicht. Die Schlangennadel stieß auf ihn zu. Er spürte den Einstich nicht mehr, sondern merkte nur, wie seine Glieder plötzlich steif und gefühllos wurden.
Dorian drehte sich herum. Ein eiskalter Luftzug umfächelte seinen Körper, und er rollte sich sofort wieder zusammen.
»Mister, sind Sie wach?«
Die Stimme sprach Englisch und gehörte einer Frau. Dorian wollte sich ihr verschließen, denn er war immer noch unendlich müde, aber der Störenfried gab keine Ruhe und schüttelte ihn.
»Verstellen Sie sich nicht!« sagte die Frauenstimme. »Ich habe gesehen, wie Sie sich bewegt haben. Sie sind wach. Stehen Sie auf! Sie müssen uns helfen.«
Dorian drehte sich seufzend auf den Rücken und schlug langsam die Augen auf. Er sah das ausgemergelte Gesicht mit den dunkel umränderten und tief in den Höhlen liegenden Augen vor sich und war schlagartig hellwach. Abrupt richtete er sich auf.
Die junge Frau berührte ihn mit ihren knochigen Händen. »Bitte, ruhig bleiben!« flehte sie mit ängstlichem Gesicht. »Von uns droht Ihnen keine Gefahr mehr.«
Dorian hatte in ihr sofort die Frau aus der Zisterne der 1001 Säulen erkannt, auf deren Brust der Schädel des Ungeheuers mit dem aufgerissenen Maul tätowiert gewesen war. Hinter ihr tauchte ein junger Mann auf, dessen Haar im Schein einer Fackel noch rötlicher leuchtete. Er hatte den Teufel mit den drei Köpfen auf die Brust tätowiert gehabt.
»Ich bin Ginger Fairy.«
»Mein Name ist Paul Fisher. Srasham hat keine Macht mehr über uns – obwohl ich seine Rufe noch hören kann. Die Zeit, in der wir seine Sklaven waren, war furchtbar. Aber ich glaube, jetzt sind wir auch nicht besser dran.«
»Engländer?« erkundigte sich Dorian.
Paul Fisher und Ginger Fairy nickten.
»Sie auch?« fragte Paul.
»Ja. Zeig mir deine Brust!«
Der Rothaarige öffnete seinen Umhang. Dorian konnte im Fackelschein sehen, daß seine Brust von einer rosigen Haut überzogen war. Als auch das Mädchen ihre Brust entblößen wollte, winkte er ab.
»Glauben Sie uns jetzt?« fragte Ginger ängstlich. »Werden Sie uns helfen, Mister?«
»Ich heiße Dorian Hunter. Was ist passiert, nachdem man uns mit den Nadeln gelähmt hat? Ich war wohl einige Stunden hinüber.«
»Nicht so lange«, sagte Paul. »Es kann noch nicht weit über Mitternacht sein. Wir sind selbst erst hier aufgewacht. Ich weiß nur, daß wir uns zwischen Ruinen auf einem Hügel am asiatischen Ufer befinden. Man hat von hier oben einen guten Überblick und kann die Atatürk-Brücke über den Bosporus sehen. Wir sind bestimmt nicht weit von Beylerbey entfernt.«
»Helfen Sie uns, Mr. Hunter!« flehte Ginger.
»Wie sollte ich? Ich habe nicht einmal eine Ahnung, was das alles bedeuten soll.«
»Aber wir«, sagte Ginger. »Diese finsteren Typen mit den Nadeln – sie haben uns zwar von den Tätowierungen befreit, aber nicht, um uns zu helfen. Sie werden uns opfern. Einfach schlachten.«
Dorian schlug die Lammfelle zurück, in die er eingewickelt gewesen war, und stellte erstaunt fest, daß man ihm einen Burnus angezogen hatte. Ginger und Paul trugen einfache Umhänge aus grobem Tuch.
Dorian ergriff den Arm des Jungen und schob den Ärmel bis zur Armbeuge hinauf. Als er die vielen Einstiche sah, nickte er. »Ich habe es mir gedacht. Deine Phantasie ist mit dir durchgegangen. Oder bist du noch high? Wach auf, Junge! Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert.«
»Wir schon«, sagte Paul und deutete mit dem Daumen hinter sich. »Die da draußen aber
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