Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
029 - Der Unheimliche

029 - Der Unheimliche

Titel: 029 - Der Unheimliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
Vom Netzwerk:
hingelegt? Elsa beugte sich aus dem Fenster und sah eine lange Leiter, wie Bauarbeiter sie benutzen, an die Wand gelehnt - sie reichte fast bis an ihr Fenster. Eine dunkle Gestalt sprang von der untersten Sprosse auf den Boden, blieb einen Augenblick stehen und schaute zu ihr herauf. Dann verschwand sie im Schatten des großen Baumes. Elsa hatte das Gesicht deutlich erkannt - es war Feng Ho!
    Nach dem ersten Schrecken gewann sie rasch ihre Fassung wieder. Sie drehte das Licht an und schaute auf die Uhr. Es war halb vier. Mr. Tarn würde fest schlafen, und sie verspürte nicht die geringste Lust, ihn zu wecken. So zog sie ihren Morgenmantel an und ging über die dunkle Treppe ins Eßzimmer, dessen Fensterläden fest verriegelt waren. Elsa machte sich einen Tee und überlegte.
    Feng Ho! »Sie werden Feng Ho oft sehen!« hatte Amery zu ihr gesagt, und unwillkürlich mußte sie lächeln. Unter ähnlichen Umständen wie heute würde sie den Chinesen jedenfalls nicht mehr sehen wollen. Das würde sie dem Major klarmachen, und zwar auf der Stelle. Mit einer herzlichen Schadenfreude stellte sie sich vor, wie das Schrillen des Telefons Mr. Amery aus dem Schlaf reißen würde. Eifrig durchblätterte sie das Telefonbuch, ja, hier war seine Privatnummer: Mayfair 1 99 16. Bevor sie es sich noch anders überlegen konnte, hatte sie die Verbindung schon hergestellt.
    »Wer spricht dort?« meldete sich eine müde Stimme.
    »Ist dort Major Amery?« fragte sie liebenswürdig.
    »Ja. Was wollen Sie, Miss Marlowe?« »Ich - wir hatten gerade den Besuch eines Ihrer Freunde«, erklärte sie etwas unsicher. »Hereingekommen ist er allerdings nicht.« Seine Ruhe war erstaunlich.
    »Meinen Sie Feng Ho?«
    »Ja, Feng Ho. Er versuchte, über eine Leiter in mein Fenster einzusteigen«, sagte sie zornig.
    »Meinen Sie, in Ihr Schlafzimmer?« fragte Amery schnell.
    »Ich besitze nur ein Zimmer«, bemerkte Elsa kühl, und am anderen Ende herrschte Stillschweigen.
    Nach einer Weile sprach er wieder.
    »Sie müssen sich geirrt haben. Es konnte nicht Feng Ho sein. Den meisten Europäern erscheint ein Chinese wie der andere. Es tut mir wirklich leid, daß Sie erschreckt worden sind.«
    Die letzten Worte sagte er so freundlich, daß Elsa fast ein bißchen schuldbewußt bedauerte, ihn geweckt zu haben.
    »Weiß Mr. Tarn von der Sache?«
    »Nein, er schläft. Es tut mir leid, daß ich Sie bemüht habe.«
    »Warten Sie!« rief er kurz. »Haben Sie auch bestimmt keine Angst?«
    »Nein, Major Amery. Sie haben mich gestern morgen schon einmal gefragt, ob ich mich fürchte«, gab sie zurück.
    Ihr war, als ob sie ein leises Lachen hörte, aber dann sagte er kurz angebunden:
    »Gute Nacht. Gehen Sie wieder schlafen!«
    Als Elsa den Hörer auflegte, dachte sie, daß es typisch für ihn sei, diese seltsame Unterhaltung mit einem Befehl zu beenden. In diesem Augenblick kam Maurice Tarn, in einen alten Schlafrock gehüllt, blinzelnd ins hellerleuchtete Zimmer.
    »Was ist los?« brummte er. »Mit wem hast du so früh am Morgen telefoniert?«
    »Mit Major Amery.«
    »Was, mit Amery?« keuchte er. »Was hast du mit ihm gesprochen?« Er war bestürzt, und in seiner Erregung packte er ihr Handgelenk mit solcher Kraft, daß sie aufschrie.
    »Tut mir leid«, murmelte Tarn. »Was war denn los, Elsa?«
    »Ich habe Major Amery gesagt, daß ich einen seiner Freunde abgefaßt habe, als er vorhin versuchte, durch mein Fenster einzudringen.«
    »Wer war es?« fragte Tarn ängstlich.
    »Ich weiß nicht - ein Chinese.«
    Sie erzählte ihm in kurzen Worten, was sie gesehen hatte, und Tarn hörte mit klappernden Zähnen zu.
    »Ein Chinese mit einem Messer! Bist du ganz sicher, Elsa?«
    »Vielleicht hat er es nur benutzt, um das Fenster zu öffnen?« Elsa war über die Wirkung verblüfft, die ihr Bericht auf Tarn ausübte. Sie hatte noch nie einen Mann in so hilfloser Angst gesehen. Der Schweiß perlte ihm auf dem aschfahlen Gesicht. »Was hat Amery dazu gesagt?«
    »Er meinte, daß es keinesfalls Feng Ho gewesen ist.«
    »Amery ist ein Lügner! Es war der Chinese, der gestern früh ins Büro kam. Ich habe ihn gesehen - Feng Ho! Elsa, das ist mein Ende! Sie werden jetzt auf mich lauern - in jedem Hafen.«
    »Warum denn, Mr. Tarn?« fragte sie, jetzt selbst erschreckt durch die panische Angst des Mannes. »Was haben Sie denn getan . . .«
    »Sei still, sprich nicht! Ich will nicht darüber reden. Ich habe das erwartet.« Er zog aus der Tasche des Schlafrocks einen Revolver hervor.

Weitere Kostenlose Bücher