029 - Der Unheimliche
als ein Sack voller Klapperschlangen.«
Nachdenklich schaute er Ralf an. »Könnten Sie den Mann nicht auf irgendeine Weise kaltstellen?«
»Was meinen Sie mit - kaltstellen?« fragte Hallam betont und bemerkte, daß sich aller Augen neugierig auf ihn richteten.
»Ich meine nichts Unrechtmäßiges«, sagte Jarvie bieder. »Aber ich glaube, wenn Amery irgendeinen Schreckschuß erhielte - dann wäre er vielleicht vorsichtiger und ersparte uns einige unangenehme Augenblicke.«
»Es gibt nur einen Weg, Amery Einhalt zu gebieten, wenn er tatsächlich Soyoka ist«, erklärte Ralf kaltblütig. »Man muß ihn dahin stecken, wo er uns nicht mehr schaden kann. Was halten Sie davon?«
»Nein«, rief Jarvie, »das wäre zu weit gegangen. Ich persönlich hasse Gewalttätigkeiten, aber es müßten sich doch Leute finden lassen, um Amery - sagen wir, zu erschrecken!«
Es war vier Uhr geworden, als die Gesellschaft aufbrach und Ralf als letzter allein die Treppe hinunterging. In der Halle stand ein dicker, freundlicher Herr, dem ein Bediensteter in den Pelz half. Durch die Tür sah Ralf, wie ein wunderbarer Rolls-Royce geräuschlos vorfuhr, ein Diener heraussprang und die Tür öffnete.
»Tupperwill«, begrüßte Hallam den dicken Herrn, »ich hätte nicht erwartet, Sie in einer so entlegenen Gegend Londons zu treffen!«
Mr. Tupperwill, der Besitzer der Stebbings-Bank, drehte sich gemächlich um. Jede seiner Bewegungen war bedächtig, und seine runden blauen Augen leuchteten freudig auf, als er Hallam erkannte.
»Mein lieber Doktor«, murmelte er, »das ist aber seltsam - äußerst seltsam! Ein ungewöhnlicher Ort für den Besitzer der Stebbings-Bank - ganz gewiß!«
In der Londoner City war die Stebbings-Bank sehr angesehen. Mr. Tupperwill, der jetzige Eigentümer, pflegte zu sagen, daß er keinen Angestellten habe, der unter Fünfzig sei, obgleich er selbst höchstens fünfunddreißig Jahre alt war. Er war dick, hatte ein breites Gesicht mit einem wulstigen Doppelkinn und äußerst fleischige Hände.
Auch Ralf hatte ein Konto bei der Stebbings-Bank und war mit Mr. Tupperwill im gleichen Klub, was sie gewissermaßen zu Freunden machte. Als sie das Hotel verließen, bemerkte Hallam einen kleinen, schwächlichen Mann mit grauem Filzhut und gelben Handschuhen, der am Randstein stand.
»Ein Chinese!«
»Ein Chinese«, wiederholte Tupperwill ruhig, »ein gewisser Feng Ho, der Beschützer und Vertraute eines gewissen Major Amery, eines ganz ungewöhnlichen Herrn!«
Bevor Ralf sich von seinem Erstaunen erholt hatte und fragen konnte, was der Bankier über Paul Amery wußte, war dieser schon mit seinem Rolls-Royce davongefahren.
Feng Ho, Amerys Mann! Das war das erste Mal, daß Ralf von dem Chinesen gehört hatte, und er wollte ihn sich näher ansehen. Aber Feng Ho war verschwunden. -Ralf erinnerte sich, daß er bei seiner Frau vorsprechen wollte, rief ein Taxi und war bald darauf in Herbert Mansions. Gerade wollte er den Fahrer bezahlen, als ein anderes Taxi in einiger Entfernung hielt. Ein Mann stieg aus. Es war Feng Ho!
Ralf zögerte nicht, sondern ging auf den den Chinesen zu, der ihn gleichmütig erwartete.
»Ich habe mit Ihnen zu sprechen, mein Freund!« Feng Ho neigte ein wenig den Kopf.
»Als ich vor einer Viertelstunde bei Fornos herauskam, standen Sie auf der Straße und beobachteten mich anscheinend. Nun sind Sie mir hierher gefolgt. Was ist los?«
Feng Hos schreckliches Grinsen erschien auf seinem Gesicht.
»Was soll los sein? Nichts ist los!« erwiderte er ruhig. »Ich komme heute hierher, und morgen gehe ich vielleicht in die entgegengesetzte Richtung.«
»Wohin wollen Sie?« fragte Ralf wütend. Feng Ho zuckte die Achseln.
»Das klingt nicht wie die gute alte englische Höflichkeit«, sagte er. »Dort ist ein Polizeibeamter, holen Sie ihn her und sagen Sie ihm: ›Verhaften Sie diesen Mann, er heißt Feng Ho, ist Bachelor of Arts und hat mich verfolgt!‹ Mr. Hallam, Sie können nirgendwo in London Spazierengehen, ohne irgend jemandem zu folgen.«
»Warum verfolgen Sie mich?« fragte Hallam, ohne auf die Worte des anderen zu achten.
Wieder zuckte der kleine Mann mit den Schultern.
»Ich bin ein Wissenschaftler und interessiere mich für außergewöhnliche Dinge. Meine Spezialität sind Verbrechen, und ich will nicht nur ins Gericht gehen und zuhören, wie der Angeklagte dem Richter vorgeführt wird und seine Geschichte erzählt, sondern ich möchte auch sehen, wie das Verbrechen begangen wird. Eine
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