029 - Der Unheimliche
sich entfernt hatten.
Als Ralf in der Tür stand und seinen Gästen lächelnd zunickte, stellte er befriedigt fest, daß die Gesellschaft doch sehr bürgerlich wirkte. Es waren alles wohlgenährte Männer im mittleren Alter, mehr oder weniger kahlköpfig, denen man ihr ruhiges und bequemes Leben ansah. Jarvie aus Birmingham begrüßte ihn herzlich und blickte dann an ihm vorbei, als ob er noch jemand erwarte.
»Der alte Herr kann nicht kommen«, sagte Hallam ruhig. »Er fühlt sich nicht ganz wohl.«
Er schüttelte allen die Hand und nahm seinen Platz ein. Als die Kellner sich zurückgezogen hatten, stand Hallam auf, verschloß die Doppeltür und kehrte auf seinen Platz zurück.
Mit einem Schlag war die Gesellschaft wie verändert. Es war, als ob während der letzten Stunde jeder eine bestimmte Rolle gespielt hätte, und als ob jede Rede und Bewegung nur Teil eines langweiligen Schauspiels gewesen wäre. Hallam ergriff ohne Einleitung das Wort.
»Wir haben drei neue Sendungen; die größte in London, die zweitgrößte in Hüll... «
»Schon verzollt?« fragte jemand.
»Selbstverständlich verzollt«, antwortete Hallam.
»Jarvie, Sie übernehmen die Verteilung! Sie geht an die Stanford-Gesellschaft in Birmingham. Die dritte kam gestern in Avonmouth an und geht nach Philadelphia weiter.«
»Was ist das eigentlich für ein Grieche, den man in Cleveland gefaßt hat?« fragte Jarvie, und plötzlich sprachen alle durcheinander.
»Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen. Die Geschichte, daß die amerikanische Polizei einen Arzt und einen Kaufmann in der City verdächtigt, ist nur leeres Gerede. Irgendein Zeitungsmann hat das erfunden. Das ist nicht unsere Sorge. Bickerson . . .«
»Hat schon jemand versucht, Bickerson breitzuschlagen«, fragte einer der Herren. »Ein paar Tausender würden ihn vielleicht 'rumkriegen.«
Ralf schüttelte den Kopf. »Bickerson nicht. Es hätte auch wenig Sinn, denn dann würde er nachlassen, und seine Vorgesetzten würden die Untersuchung einem anderen übertragen. Der einzige Mann, den man fürchten muß, ist Tarn; er bekommt kalte Füße! Und selbstverständlich Soyoka!«
»Soyoka?«
Jarvie nahm die Zigarre aus dem Mund, betrachtete sie nachdenklich und tat wieder ein paar Züge.
»Für Soyoka ist auch noch Platz«, sagte er.
»Das ist auch meine Meinung«, bestätigte Hallam, »aber er selbst scheint nicht dieser Ansicht zu sein. Der alte Tarn glaubt nämlich, daß sein Chef entweder Soyoka selbst oder dessen Hauptagent ist.«
»Wer ist Tarns Chef?« fragte Jarvie hastig.
»Major Amery.«
»Doch nicht etwa Paul Amery?«
»Kennen Sie ihn denn?« fragte Hallam.
Jarvie stieß einen Pfiff aus.
»Paul Amery! Ist es etwa der Paul Amery von der Indischen Botschaft, der in Shanghai den Skandal hatte?«
Aufgeregt rückte Ralf seinen Stuhl zurück.
»Kennen Sie ihn? Erzählen Sie! Das ist der Mann.«
Jarvie schüttelte den Kopf.
»Nein, ich kenne ihn selbst nicht, aber einer meiner Geschäftsführer aus unserer Niederlassung in Shanghai hat mir von ihm erzählt. Steht er mit Tarns Firma in Verbindung?«
»Er ist Amery & Amery« erklärte Ralf. »Sein Onkel hat ihm vor einiger Zeit das Geschäft hinterlassen.«
Wieder pfiff Jarvie vor sich hin.
»Ich weiß nur, was mein Gewährsmann erzählt hat. Vielleicht wissen Sie, daß in Shanghai drei oder vier Millionärsfamilien leben, die ihr Vermögen mit Opium- und Waffenschmuggel für die Rebellen verdient haben. Amery kam nach Shanghai, um den Waffenschmuggel zu beobachten, wurde dann aber auch mit der Opiumsache betraut und mußte plötzlich abreisen. Angeblich soll er selbst beim Opiumhandel erwischt worden sein. Jedenfalls gab es einen Riesenskandal, die Presse machte allerlei Andeutungen, aber Amerys Name wurde nicht erwähnt. Erklärlicherweise, denn die Europäer in Shanghai halten natürlich zusammen. Immerhin wurde bekannt, daß sein Name von der Mitgliederliste des Französichen Klubs gestrichen wurde und daß er mit dem nächsten Dampfer verschwand. Er soll mit Soyoka zusammengearbeitet haben, der eine ziemlich bewegte Vergangenheit hat. Soyoka soll ein hervorragender Messerwerfer sein, angeblich hat er das in Neapel gelernt. Er trägt keine andere Waffe bei sich, denn damit kann er geräuschlos hantieren. - Warum glaubt Tarn, daß Amery und Soyoka identisch sind?«
»Amery hat Tarn gedroht. Und wenn er Soyokas Mann ist. . .«
»Wenn er wirklich Soyokas Mann ist«, unterbrach ihn Jarvie, »dann ist er gefährlicher
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