029 - Die neue Macht
vor ihn auf den Boden, beim zweiten Mal wiederholte sich der Vorgang mit dem einzigen Unterschied, dass das Tablett diesmal von einer grimmig dreinblickenden schweigenden Frau abgestellt wurde.
Dayna schien als Einzige im Bunker noch ein Interesse daran zu haben, mit ihm zu reden. In den langen Stunden, die er lesend auf dem Bett verbrachte, ertappte sich Matt immer wieder dabei, dass seine Gedanken von der Lektüre zu ihr abschweiften.
Es war ihm nicht entgangen, dass sie gezögert hatte, als sie von den Ursachen eines Stress-Syndroms sprach. Er fragte sich, ob sie eine eigene Geschichte damit verband und deshalb so stark auf ihn eingegangen war.
Die Gedanken an seine Halluzinationen versuchte Matt so weit wie möglich zu verdrängen. Auch wenn sein Verstand wusste, dass das Unsinn war, gab es doch eine kleine irrationale Stimme, die behauptete, allein die Erinnerung daran könne sie vielleicht zurück bringen.
Seit die grimmige Frau das Essen abgestellt hatte, mussten Stunden vergangen sein. Matt vermutete, dass es an der Oberfläche jetzt tiefste Nacht war. Trotzdem wollte er nicht schlafen. Er hoffte, dass er wach eine größere Chance hatte, eine beginnende Halluzination zu erkennen und sich gegen sie zu wehren. Er war beinahe dankbar über die Handschellen, mit denen es ihm nicht nur schwer fallen würde, jemanden anzugreifen, sondern die auch so unbequem waren, dass sie das Wachbleiben erleichterten.
Matt wandte sich wieder dem Buch zu. Bis zum Jahr 2300 war er bereits gekommen, aber die Konzentration fiel ihm mit jeder Seite schwerer. Zu groß war die Müdigkeit, zu chaotisch die Gedanken, die ihm immer wieder durch den Kopf schossen.
Nicht einschlafen, dachte er angestrengt. Nicht…
Ein Poltern ließ ihn hochschrecken. Matt setzte sich auf und sah sich irritiert um. Nach einem Moment entdeckte er das Buch, das ihm anscheinend aus den Händen gefallen war, denn es lag jetzt auf dem Boden neben dem Bett.
Ich bin wohl doch eingeschlafen, erkannte er. Frustriert über seine fehlende Willenskraft streckte er die rechte Hand nach dem Buch aus - und erstarrte.
Wie in einer Reihe von Fotografien nahm er das Bild wahr, das sich ihm bot. Der stählerne Ring der Handschelle, der fest um sein Handgelenk saß.
Die kurze Kette, die daran befestigt war und langsam hin und her schwang.
Der zweite, geöffnete Ring, in dessen Schloss ein kleiner Schlüssel steckte.
Die Bandage um seine Knöchel, feucht und rot glänzend.
Das klebrige Blut auf seiner Hand und die feinen dunklen Spritzer auf seinem Arm.
»Das ist nicht real«, murmelte Matt, während sein Kopf unter dem Dröhnen des Herzschlags zu explodieren drohte. »Das ist nur eine Halluzination, nichts weiter. Ist gleich vorbei.«
Erst jetzt roch er es; den Geruch von Eisen, der wie eine Anklage in der Luft hing. Er musste seinen Körper dazu zwingen, die Beine auf den Boden zu stellen und sich aufzurichten. Seine nackten Fußsohlen berührten etwas klebrig Feuchtes, aber er sah nicht hin, konnte nicht hinsehen, weil sein Blick wie hypnotisiert an etwas hing, das hinter dem Fußende des Bettes hervor ragte.
Zwei Beine.
Er trat einen unsicheren Schritt vor und musste sich am Bett festhalten, als seine Knie plötzlich nachgaben.
Bitte nicht, dachte er. Ich kann das nicht getan haben.
Er erkannte seine grimmig aussehende Wächterin an ihrer Uniform und den kurzen blonden Haaren. Sein Blick streifte die Pistole, die neben ihrem Kopf lag, und dann ihr Gesicht…
Matt schaffte es gerade noch bis zum Waschbecken, bevor er sich übergab.
»Das ist nicht real«, keuchte er. »Nichts davon ist wahr!«
Zitternd wandte er sich zur Tür, hielt den Blick starr geradeaus, um nicht noch einmal in dieses schreckliche zerstörte Gesicht sehen zu müssen.
Er trat hinaus auf den Gang, der im Halbdunkel vor ihm lag. Eine böse Stimme flüsterte ihm die Frage zu, wieso die Wächterin nicht hier draußen stand, wenn er sie doch nicht getötet hatte.
Matt lehnte sich gegen die Wand und kniff die Augen zusammen, als könne er so eine andere Realität herbei zwingen. Doch der Gedanke verschwand nicht, wiederholte sich nur, bis Matt an nichts anderes mehr denken konnte als an diesen einen Satz.
Ich bin ein Mörder.
Er dachte ihn immer noch, als ihn jemand brutal zu Boden warf und seine Arme nach hinten drückte. Das Geräusch der Handschellen, die sich um seine Gelenke schlossen, war fast wie eine Befreiung.
***
Dayna wusste, dass es ein Albtraum war. Sie hatte den
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