029 - Die neue Macht
gleichen Traum schon so häufig durchlebt, dass sie jede Einzelheit und jedes Geräusch kannte.
Aber das machte es nicht besser. Sie war wieder oben zwischen den windschiefen Hütten im ärmsten Teil der Stadt. Der Winter hatte die Stadt beinahe lahm gelegt. Die Blizzards gingen ineinander über, fegten über die Dächer hinweg und rissen die Behausungen der Armen wie Kartenhäuser um. Selbst in den Häusern der wohlhabenden Kaufleute wurden Brennstoff und Nahrung knapp. Die Eisfischer machten nur karge Fänge und die Siiljäger kamen selten weiter als bis zu den Hügeln, bevor sie der Schnee zurück in die Stadt trieb.
In diesem Chaos glaubte Harold einige Illegale entdeckt zu haben, denen es gelungen war, die Stadtmauer zu überwinden. Equalizer zwei, fünf, sieben und acht sollten sich darum kümmern.
Wie immer trug Dayna die Nummer zwei. Kathy hatte die fünf, Frank die sieben und Jimmy die acht.
Sie waren ein eingespieltes Team und hatten solche Aufträge schon oft erledigt.
»Was für ein Scheiß«, beschwerte sich Jimmy. E r stemmte sich gegen den Schneesturm und ließ seine Taschenlampe kurz aufblitzen, aber außer den wirbelnden Flocken war nichts zu sehen. »Wie sollen wir bei dem Wetter jemanden finden?«
Dayna nickte. Wie die anderen auch trug sie die Winterkleidung der Stadtbewohner, in deren Falten eine Taschenlampe und eine kurzläufige Projektilwaffe verborgen waren. Lasergewehre waren bei einem so starken Schneesturm wegen der Reflexionen nicht zu gebrauchen.
»Equalizer zwei an Control«, sagte sie in das kleine Mikrofon unter ihrem Kinn. »Erbitte Befehlsaufhebung aus Wettergründen. Over.«
»Control an Equalizer zwei«, kam die Antwort ohne
Z ögern. »Negativ. Setzen Sie die Suche fort. Out.«
»Harold ist wohl heute nicht in der Stimmung für Diskussionen«, kommentierte Kathy die Reaktion des Controllers.
»Eines Tages bekommt dieses aufgeblasene Arschloch, was es verdient.« Franks Stimme klang wütend.
»Frank«, murmelte Dayna im Schlaf und drehte sich unruhig um. »Du warst der Erste.«
»Wo ist Frank?«, hörte sie sich fragen. In der Realität war über eine Stunde vergangen, bevor sie diese Frage gestellt hatte, aber der Traum raffte die Ereignisse, reduzierte sie auf das Wesentliche. »Er war grad noch hier, direkt neben mir,« sagte Jimmy. Sie standen zwischen den Trümmern einer Hütte, wo der Wind nicht ganz so schneidend war.
Kathy hob die Schultern und sah sich um. Es war niemand zu sehen.
»Equalizer zwei an Control«, übernahm Dayna erneut die undankbare Aufgabe, sich bei Harold zu melden. »Erbitte Standort von Equalizer sieben. Over.«
Dieses Mal ließ die Antwort auf sich warten.
»Control an Equalizer zwei. Equalizer sieben befindet sich drei Meter östlich von ihnen. Over.«
Dayna drehte sich zu der angegebenen Stelle um und lenkte den Schein ihrer Taschenlampe dorthin. Einige verkohlte Holzbalken stachen aus dem Schnee in die Luft.
»Da ist er nicht«, sprach Jimmy das Offensichtliche aus. Er ging langsam auf die Balken zu - und verschwand mit einem Schrei.
»Jimmy!« Dayna riss die Waffe unter ihrer Kleidung hervor und entsicherte sie. Gleichzeitig stürmte Kathy nach vorne, warf sich aber nur Sekunden später wieder zurück, als der Schnee unter ihr wegsackte. Unaufhaltsam rutschte sie auf etwas zu, das Dayna nicht sehen konnte. Aber Kathy sah es wohl, denn sie begann panisch zu schreien.
Dayna griff nach ihr, bekam den Stoff ihres Schals zu fassen und wickelte ihn fest um die Hand. Da wurde auch sie nach vorn gerissen, schlug im Schnee auf und rutschte Zentimeterweise auf das Loch zu.
»Nicht«, murmelte die schlafende Dayna. »Ich will es nicht sehen.«
Kathys Schreie wurden zu einem Röcheln und Dayna begriff, dass sie dabei war, ihre Kameradin mit dem eigenen Schal zu erwürgen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Nirgendwo konnte sie sich Halt verschaffen, aber loslassen wollte sie auch nicht.
Einige weitere Zentimeter und sie sah über den Rand des Lochs.
Und ließ Kathy los.
Sie war bereits tot, aber Frank und Jimmy lebten unerklärlicherweise noch. Sie lagen zuckend auf dem blutgetränkten Boden, während sich zwischen ihnen Gestalten, die Äxte und Messer trugen, bewegten. Einige andere hockten an den Wänden. In den Händen hielten sie blutige Fleischstücke und
Day na sah nicht mehr hin. Sie richtete den Lauf der Waffe in das Loch hinein, auf ihre sterbenden Kameraden und auf die Gestalten, die ihnen das angetan hatten. Dann
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